von Martin Nicklaus
Vom wirtschaftlichen Sterben Ostdeutschlands inspiriert, entwickelten ein Schriftsteller und ein Wirtschaftswissenschaftler ihr belebendes Geschäftsmodell: einen internationalen Megafriedhof in Form einer Pyramide. Die Idee dazu entstand in einem Berliner Café. Was man irgendwie schon ahnte. Gewissenhaft, als Marktforscher sozusagen, hatten sie die weltweite jährliche Nachfrage am Totsein mit rund sechzig Millionen potentiellen Kunden ermittelt. Abzuziehen von der Gesamtzahl wären natürlich die von vornherein als Interessenten ausfallenden 16000 Kinder, die täglich verhungern.
Aber an derartige Prozeßstörungen denkt der Intellektuelle natürlich weniger. Außerdem hatte der Schriftsteller längst einen Vorschlag zur künstlichen Stimulierung des Absatzes formuliert. Deutschland müsse Atombomben bauen und an alle interessierten Länder verkaufen.
Zum Pyramidengrabklotz sollten sich alle möglichen Betriebe für trauerliche Unterhaltung, Beherbergung und Versorgung des aus aller Herren Länder herbeireisenden Volkes gesellen, eine wahre Nekropolis entstehen. Las Vegas des Todes titelte die Sendung Kulturzeit auf 3sat ihre Reportage. Bestattung mit Ringelpietz sozusagen. Menschen sterben, Wirtschaft lebt. Heißa Hossa.
Jeder Tote sollte in Form eines Betonblocks das Werk vervollkommnen. Solange man gedanklich im Legoland verharrt, klingt alles recht durchführbar, da eine Pyramide ungefähr dem ähnelt, was entsteht, wenn ein kleiner Junge seine Kiste Bausteine ausschüttet. Nur, im konkreten Fall war eine Höhe von vorerst 150 Metern anvisiert. Das ist etwas höher als die Cheopspyramide, von der bis heute kein Mensch genau weiß, wie sie errichtet wurde. Ein wenig Knowhow wäre bei einem derartigen Vorhaben aber prinzipiell wünschenswert. Immerhin müssen rund sechs Millionen Tonnen oder 2,5 Millionen Kubikmeter Bausteine ausgeschüttet werden, was einen pyramidablen Berg technischer, rechtlicher, finanzieller und organisatorischer Herausforderungen mit sich bringt. Überraschungen stellen sich dann noch reichlich ein, weshalb der große Nichtbaumeister Nietzsche meinte, wer ein Haus baue, mache dabei Erfahrungen, die er gebraucht hätte, als er damit anfing.
Beton als Baustoff stellt eine gute Wahl dar. Verstorbene würden ihm, deutsches Bestattungsrecht modifizierend, eingeäschert als Zuschlagsstoff beigemengt. Die Rezeptur lautete dann: »Asche zu Asche, Staub zu Staub, Wasser und Zement«. Während des weihevollen Mischens liefe David Bowies Ashes to ashes oder schlimmer, Sahra Brightmans Time to say goodbay in einer Endlosschleife, bis auch der Letzte allein schon daran dahingeschieden ist.
Allerdings wollten die Nekropoliten dann doch lieber kleine Hohlkörper mit eingelassenen Urnen bauen, sich damit näher am historischen Vorbild wähnend. Nur, ob je eine Pyramide als letzte Ruhestätte dienen sollte, ist bis heute unbewiesen. Peter Tompkins schreibt in seinem Buch Cheops: »… es gibt keinen verläßlichen Bericht darüber, daß in irgendeiner Pyramide der Leichnam eines ägyptischen Königs gefunden worden ist.« Alle Grabphantasien speisen lediglich von Forschern Sarkophage getaufte Steintruhen.
Über den Sinn der Monumente kursieren die erstaunlichsten Theorien. Robert Bauval und Adrian Gilbert glauben, die Ägypter bauten jenes für sie so bedeutungsvolle Sternbild Orion am Boden nach. Andere deuten sie als geodätische Punkte, zur jährlich neu erforderlichen Landvermessung, oder meinen, mindestens die Cheopspyramide sei ein archaischer Kalender. Natürlich hatten auch Leute wie Madame Blavatzky von der Theosophischen Gesellschaft, der von Ozzy Osbourne besungene Aleister Crowley und Erich von Däniken ihre ausgesprochen bunten, recht übersinnlichen Hypothesen.
Der Archäologe Zbynek Zaba sprach zusammenfassend von Denkmälern der Kultur, Wissenschaft und Technik. Ein Bauwerk ist immer Ausdruck seiner Epoche. In unserem Zusammenhang paßt am besten jene Deutung, wonach die Kolosse an sich sinnfreie Bauten waren, lediglich als gemeinsinnstiftender Kraftakt zur Vereinigung von Ober- und Unterägypten gedacht. Solch Fingerzeig ins Heute entging den Caféhausdenkern, wie auch ein paar weitere Überlegungen. Warum sollten Menschen plötzlich auf die Idee kommen, ihre Angehörigen statt zu beerdigen – um mal in unserem Kulturkreis zu bleiben – zu stapeln? Heißt es nicht seit Äonen: »Von Erde bist du genommen, und zu Erde sollst du wieder werden«? Und warum sollten Menschen regelrechte Reisen zum Grab ihrer Lieben in Kauf nehmen wollen?
Mit ein wenig Pietät und Beobachtungsgabe wäre den Projektanten vielleicht aufgegangen, wie wenig spleenige Freaks überhaupt als Kunden in Frage kommen. Da offenbart sich genaugenommen eine schwere religiöse, philosophische, kulturelle, ethische, familiäre Entwurzelung, ein wahrlich nekrotischer Charakterzug, geboren aus schickeriahaftem Dasein. Was Dreistigkeit einschließt, denn im Anschluß an den Cafébesuch empfanden unsere beiden einen starken Drang nach Fördermitteln. Wobei KfW oder Stiftung Deutsche Klassenlotterie als Partner ausfielen, denn deren Förderung hat aus Sicht der Antragsteller einen erheblichen Haken. Sie finanzieren kein Wolkenkuckucksheim. Aus diesem einleuchtenden Grund lenkten die Pyramanen, mit ihrer kraftvollen Idee vom Luftschloß zum Wirtschaftsaufschwung Ost, ihre Schritte Richtung Kulturstiftung des Bundes. Dort sah man sich durch jene, die Kulturlandschaft außergewöhnlich stark prägenden, Millionengräber wie Cargolifter, Lausitzring und Frankfurter Chipfabrik zu einem eigenen Großprojekt herausgefordert und zog die Spendierhosen an.. Schon tingelten unsere beiden Protagonisten mit ihrem Jackpot von 89000 Euro los, zur Standortsuche.
Irgendwo im sachsen-anhaltischen Nirgendwo fanden sie mit dem Dorf Streetz, in dem man als Berliner nicht tot überm Zaun hängen möchte, ihr Gizeh und landeten mit jungdynamischem Schwung und entsprechender Unterhaltungstechnik zur symbolischen Grundsteinlegung an. Schlecht nur, daß es dort Einwohner gibt. Die fühlten sich wegen der morbiden Idee und der Anwesenheit eines Filmteams als Komparsen in einer Art Borat-Film und scheuchten die Baumeister vom Acker.
»Gestorben wird immer«, da hatten die Nekropolenbauer schon richtig recherchiert. Dieses Mal traf es ihr Projekt. Der Schmerz darüber dürfte sich wegen des Trostpflasters der Kulturstiftung in Grenzen halten. Mit dem Geld können die beiden nun viele Abende im Café sitzen, weiter lustige Streiche aushecken und in der Financial Times Deutschland noch mal nachlesen, wie die Ostdeutschen wieder alles verdorben haben.
Für alle anderen noch eine Zusatzinformation, das Leben betreffend: Mit 89 000 Euro ernährt Misereor in Sambia 517 Kinder ein Jahr lang.
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