Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 3. März 2008, Heft 5

Immer wieder Karajan

von Dieter Braeg

Jeden Sonntag gibt es in Österreich in frei zugänglichen Plastiktaschen die Kronenzeitung. An Arbeitstagen wird die Zeitung am Kiosk oder an der Tankstelle oder sonstwo gekauft. Die Krone spricht vor allem jene an, die über die »gesunde Meinung« verfügen. Am 10. Februar ging es ab Seite zehn um Karajan. Der würde am 5. April seinen hundertsten Geburtstag feiern, und das war ein Anlaß, der Kronen-Autorin Ingrid Altermann in die Tastatur hauen ließ. Dabei wurde Anne-Sophie Mutter bemüht, die sagte: »Seine künstlerische Qualität ist einfach unsterblich. Deshalb ist er für mich auch immer noch da.«

Des Unsterblichen »Durchbruch« fand 1938 statt. Da dirigierte Herbert von Karajan an der Berliner Staatsoper Wagners Tristan und Isolde. Dazu schreibt Ingrid Altermann: »Das Publikum tobte vor Begeisterung. Die Presse ebenfalls. Das ›Wunder Karajan‹ war geboren.«

Daß ein Publikum vor der Begeisterung tobt, ist ja nicht neu, daß auch die Presse so etwas tut, das hat schon Karl Kraus beklagt. Gebessert hat sich da nix. »Der exzentrische Vollblutmusiker mit den stahlblauen Augen, dem stets eine Nähe zu den Nazis nachgesagt wurde, verhielt sich in den folgenden Jahren politisch sehr widersprüchlich.« Wem die deutsche Sprache durchgeht, und er fängt sie nicht früh genug wieder ein, der darf für die Kronenzeitung schreiben …

Wir kennen Vollmilch, wobei noch immer nicht geklärt ist, ob es auch eine Halbmilch gibt. Eine Pressehalbwelt scheint aber vorhanden zu sein. Daß es Vollblutmusiker gab und gibt und Karajan auch einer war – hat das etwas mit seinen »stahlblauen« Augen zu tun, die ihm eine »nachgesagte Nähe« zu den Nazis einbrachte? Fragen, deren Antwort nicht so wichtig sind, denn vor allem die Mozartstadt Salzburg will, soweit dies die Fußballeuropameisterschaft zuläßt, ein Karajanjahr feiern.

Dagegen würde ja nichts sprechen, wenn man auch berücksichtigt, daß Karajan Mitglied der NSDAP war. Soweit, so gut, nur dann schreibt Ingrid Altermann die Geschichte der Salzburger Festspiele endgültig um. Die Autorin plaudert Dampf: »Aber schon im Jahre 1948 (nach einem Berufsverbot wegen NSDAP-Mitgliedschaft) wurde er Direktor der Wiener Musikfreunde. Arbeitete an der Mailänder Scala, stand an der Spitze der Wiener Staatsoper – und begründete schließlich 1967 die Salzburger Festspiele, die er bis zu seinem Tode auch leitete.« Ein Irrtum kommt selten allein: Die Salzburger Festspiele wurden 1920 von Max Reinhardt in Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal, dem Komponisten Richard Strauss, dem Bühnenbildner Alfred Roller und dem Wiener Hofoperndirektor Franz Schalk begründet; die erste Aufführung, Hofmannsthals Jedermann, fand am 22. August 1920 auf dem Domplatz statt. Reinhardts letzte Regie für die Festspiele war Faust von Johann Wolfgang Goethe 1937. Wenn der Geschichtsverlust der heutzutage journalistelnden Frauen und Männer anhält, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis Adolf Hitler den Ring der Nibelungen komponiert hat und Richard Wagner Mein Kampf schrieb.