Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 31. März 2008, Heft 7

Die neuen Literaturpreise

von Ove Lieh

Allen, die gedacht haben, nach Butter, Milch und Quark würden auch die Bücher teurer, sei beruhigend zugerufen: Nein, die Bücher bleiben preislich, wie sie waren, also nahezu unerschwinglich für den kleinen Mann. Aber, ihre Erzeuger sollen mittels Verleihung gut dotierter Preise mehr bekommen als bisher, womit sich der Kreis zum Quark geschlossen hätte, denn auch der Bauer, der das Euter bisher in seiner unterernährten Hand schaukelte, soll nun bessergestellt werden, auch wenn er bislang im Sitzen molk oder melkte, was er auch weiter tun darf. Ebenso schwer aber wie die Frage, ob der Bauer nun molk oder melkte ist jene nach der Zahl vergebener Literaturpreise zu beantworten. Selbst eine oberflächliche Recherche im griechischen Internet ergab eine Zahl von 265000 Internetseiten zum Thema, die wir im Rahmen der Recherche natürlich nur überfliegen konnten – aber solche Preise sind ja was für Überflieger – sowie von über tausend deutschsprachigen Preisen.

Unter diesen gibt es welche, die ihrerseits schon wieder preiswürdig erscheinen.. Exemplarisch sei nur ein Schreibwettbewerb für junge Menschen aus Mecklenburg-Vorpommern genannt, der unter dem Motto steht: Wi maken di platt, was ungefähr dem entspricht, was man von der Zielgruppe erwartet, und zu dem man alle Textformen einreichen kann. Es ist zu vermuten, daß hier eine ganze Reihe Parolen eingereicht werden. Toll auch ein Preis aus Berlin-Rheinsberg: Dünn ist die Decke der Zivilisation. In Berlin also auch, wer hätte das gedacht!?

Mit den vergebenen Preisen jedenfalls scheinen alle möglichen Gattungen, Themen und Autoren von Literatur bereits bedacht zu sein; aber wie so oft trügt auch hier der Schein. Brandaktuelle Themen fehlen. Nicht vergeben wird zum Beispiel bisher der angesichts aktueller Entwicklungen unbedingt auszulobende Preis der dringend zu gründenden Vereinigung smokers in prison, dessen erster Träger sicher Günter Grass mit seinem noch zu schreibenden Werk Beim Drehen der Fluppe sein dürfte. Nicht nur, daß man in diesem Werk ganz deutlich den Zug der Zeit atmet, nein, das Buch hat das Zeug zum Preisbringer und Bestseller auch dadurch, daß man es nach, während oder statt der Lektüre getrost in der Pfeife rauchen kann. Ein neues Papier auf Tabakbasis macht es möglich. Eine normale Pfeife vorausgesetzt, spart man überdies gegenüber normalem Tabak zwanzig Prozent der Kosten, bei selbstgedrehten oder -gestopften Zigaretten sogar dreißig Prozent. Die Laudatio auf Grass mit dem Titel: Schall und Rauch wird der Ehrenvorsitzende der Vereinigung, Helmut Schmidt halten. Sie dauert sechzig Minuten, davon sind sieben Minuten Redezeit und 53 Minuten Raucherpause, in der man nun getrost mit anderen öffentlich Grass rauchen darf.

An diesem Beispiel wird schon deutlich, daß wir nicht einfach neue Preise für die vorhandene Literatur brauchen, sondern auch eine ganz neue Literatur, die sich dann auch wieder neue Preise verdient. Sie muß die Menschen dort abholen, wo sie sind, also in ihren geschmacklos eingerichteten Einheitsbehausungen, in denen sie sich in einem Zustand geistiger Verwahrlosung der verzweifelten Lektüre von Gebrauchsanweisungen zumeist elektronischer Geräte und von Packungsbeilagen moderner Arzneimittel ergeben. Jeder weiß, in welch traurigem Zustand sich beide Zweige der schreibenden Zunft befinden. Die ersteren, weil nicht nur völlig talentlose Verfasser, sondern oft auch noch inkompetente Übersetzer sich an ihnen vergreifen, die zweiten, weil ihre Gestaltung dazu führt, daß man sie nicht liest – und wo doch, während der Lektüre an einem angstinduzierten Herz-Kreislauf-Versagen verstirbt oder, falls man überlebt, die Medikamente nicht nimmt, sondern einfach fortwirft.

Nun dürften bisher Literaten, die ernstgenommen werden – also Geld verdienen – wollen, nicht so leicht zu bewegen sein, Gebrauchsanweisungen für Uhren, Kameras und DVD-Recorder oder Packungsbeilagen für Tropfen, Pillen und Zäpfchen zu verfassen, es sei denn, es gäbe anerkannte oder zumindest gut dotierte Literaturpreise dafür. Dann verfaßt man doch zum Beispiel im Handumdrehen ein Lustspiel als Gebrauchsanweisung für einen Vibrator.

Aus demographischen Gründen noch brennender ist das Problem der Medikamenten-Beipackzettel. Wären Bücher in deren Stil verfaßt, würde sie kein Mensch mehr lesen. Es ist doch aber viel gefährlicher, wenn wir einen Beipackzettel nicht lesen, als wenn wir das zum Beispiel mit Büchern von Martin Walser oder Christa Wolf tun.

Integrierte man jedoch die Schrecken der Packungsbeilage in eine interessante Rahmenhandlung, wäre das Problem ganz schnell gelöst –siehe Robin Cook. Nebenwirkungen verlieren ihren Schrecken, wenn sie in Gestalt sich nur temporär zuspitzender Nebenkonflikte literarisch verarbeitet werden, die die Lösung des Grundkonfliktes – Heilung – nie ernsthaft gefährden. Sicher wird es auch Opfer geben, aber die gibt es in jedem Krimi, und die Leute lesen sie doch. Mit dem Kriminalgenre wäre man übrigens gleich noch ganz nah am Geschäftsgebaren vieler Arzneimittelhersteller dran. Aber auch andere Genres sind gut geeignet. Gerade solche Nebenwirkungen wie Herzrasen, Hautrötung, Übelkeit, Brennen beim Wasserlassen oder Durchfall lassen sich in einer Liebesgeschichte angenehm verpacken. Ein Aufblähen des Bauchraumes erwiese sich nach anfänglich befürchteter Schwangerschaft als vergleichsweise harmlose Nebenwirkung eines Leberpräparates. Da sind doch nicht nur die Protagonisten der Beipackzettelstory, sondern auch der potentielle Konsument des Medikaments erleichtert. Er nimmt getrost die Kapsel und denkt: Hauptsache, nicht schwanger!

Es sollten also schleunigst Autoren, die sich bisher mit Weltschmerz und Lebensversagen befaßten, auf Kopfschmerz und Potenzprobleme umgelenkt werden. Eine wichtige Steuerungsfunktion hätten hier die neuen Literaturpreise. Die Dotierung dürfte in dieser Branche kein Problem sein. Es könnte ja auch eine besondere Produktbindung erreicht werden, indem man die Geschichten als Fortsetzungen in unterschiedlichen Produktchargen plaziert, man zahlt dann auch gern etwas mehr, um seine Geschichte weiterlesen zu können oder steht schon des nachts vor der Apotheke wie der Harry-Potter-Fan vor der Buchhandlung, wenn eine neue Folge der Packungsbeilagenstory erscheint. Und dies muß nicht immer nur in Prosa abgefaßt sein. Man kann auch mit (Wirkstoff-)Lyrik gegen Ulla Schmidts Einsparungselegien andichten. Nur vor der Tragödie wird gewarnt.