Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 31. März 2008, Heft 7

Der Eisengehalt des Spinats

von Wolfgang Sabath

Gewiefte und interessierte Fernsehkunden – wir sind inzwischen alle Kunden, ob wir im Krankenhaus liegen, vor dem Fernsehapparat sitzen oder Aldi belümmeln –, Fernsehkunden also können sich quasi nach dem Baukastenprinzip viele Sendungen selber zusammenstellen. Zum Beispiel Talkshows. Da es nach Lage der Dinge in Deutschland hochgerechnet nur noch zirka hundert Personen zu geben scheint, deren Ansichten und deren Ansicht nach Meinung der Redakteure und Produzenten von allgemeinem, also von Talkshow-Interesse sind, treffen wir im Laufe der Zeit immer auf die selben Diskutanten: auf den Barbier vom Ku-damm, den ehemaligen Boxer, den Arbeitgeberpräsidenten, Klaus Ernst von der LINKEN, einen rechten Sozialdemokraten oder einen linken, den parteilosen Linksprofessor aus Bremen, Heiner Geisler. Und Jörg Kachelmann und – als weiteres Dummchen vom Dienst – Bettina Tietjen. Belassen wir es dabei.

Inzwischen wissen wir jedoch nicht nur, wer uns auf jedweder Talkshow begegnen wird, sondern wir wissen natürlich auch schon, was die Geladenen sagen werden – ob sie das denken, was sie sagen, wissen wir allerdings nicht. Nur auf Gregor Gysi werden wir unter Umständen eine zeitlang verzichten müssen, obwohl er künftig nicht ausdrücklich Diskussionsrunden schneiden will, sondern öffentlich-rechtliche Politmagazine zu boykottieren gedenkt; weil die so unfair mit der LINKEN umgingen. Aber dafür hat er dann einige Tage nach der Bekanntgabe seines Entschlusses erst gleich einmal der linksnahen und vor allem für ihre Fairness bekannten Firma BILD für deren Online-Portal Bild.de Interview gesessen. Wir schweifen ab.

Zurück zur Eigenbautalkshow. Wenn wir in die Kiste mit den Fragen und Behauptungen fassen und gerade an dem SPD und CDU/CSU-Part einer Sendung bosseln, müssen wir darauf achten, daß unbedingt drei Behauptungen vorkommen sollten, die dort aufgesagt werden müssen: 1. Die LINKE habe keine Konzepte; 2. Oskar Lafontaine sei ein Nationalist; 3. Die LINKE wolle eine andere Gesellschaft.

Egal, wie Sie sich eine Runde zusammenstellen: Diese Behauptungen gehen immer durch, mit denen sind Sie – sozusagen diskussionsmäßig – immer auf der richtigen Seite. Mit ihnen funktioniert jede Talkshow. Mit den obigen Behauptungen ist es wie mit dem Eisengehalt des Spinats: Obwohl längst erwiesen ist, daß die jahrzehntelang praktizierte Kinderfolter Spinatessen (»Ist gesund, ist viel Eisen drin.«) auf einem Meßirrtum beruhte, scheint die Legende vom Eisengehalt des Spinats unausrottbar zu sein. Und warum? Weil die Leute zu faul sind, selber nachzumessen. Und Parteipapiere lesen sie gemeinhin erst recht nicht. Nicht die von der CDU, nicht die der SPD, nicht die der Grünen und nicht die der LINKEN. Das ist einfach so.

Und darum kann in so einer Talkshow jeder behaupten, was er will und muß nicht mühselig Argument gegen Argument abwägen. Jeder kann immer wieder behaupten, die LINKE besitze keine Konzepte, und der Linke in der Runde kann sich abstrampeln, wie er will – er ist auf verlorenem Posten. Selbst wenn er in der Tasche irgendwelche Finanzierungspläne bei sich trüge, die seine Partei ausarbeitete – soll er damit die Talkshow austrocknen?

Wenn Sie Ihre Talkshow konzipieren, sollten Sie unbedingt darauf achten, Ausfälle gegen Oskar Lafontaine nicht zu vergessen. Die müssen Sie selbstredend dem SPD-Vertreter in der Runde zuordnen; in dem Falle ist es unerheblich, ob es sich um einen Vertreter des linken oder des rechten Flügels handelt. Im Frust auf ihren ehemaligen Vorsitzenden sind sich die Flügel weitgehend einig. Darüber müssen Sie sich nicht wundern, denn sie befinden sich – obwohl es doch schon eine Weile her ist, daß sie ihrem Genossen Lafo zujubelten, als der den Radfahrer putschartig abservierte – noch mitten in der Trauerarbeit. Eben weil sie es partout nicht fertigbringen, ihre Jubel-Arien zu vergessen. Das verbittert.

Einen Beleg für die Behauptung, daß Lafontaine nationalistisch sei, müssen Sie vom Behaupter nicht einfordern, das hielte nur auf. Zumal sich keiner finden dürfte. Selbst herbeigoogeln läßt sich kein derartiger Beleg. Wenn Sie »Lafontaine nationalistisch« eingeben, kommen Sie zwar auf – für Internetverhältnisse immer noch magere – zwölftausend Einträge, aber sie beziehen sich fast samt und sonders auf folgenden Satz: »Der Staat ist verpflichtet zu verhindern, daß Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter ihnen zu Billiglöhnen die Arbeitsplätze wegnehmen.«

Dieser Satz ermöglicht es den Gegnern Lafontaines nun schon jahrelang, ihm scheinheilig die »Fremdarbeiter« vorzuhalten. Die Einheitsfront geht von Mathias Döpfner bis zu Struck oder Hans-Jochen Vogel. Über den ersten Teil des Satzes muß dann nicht geredet werden. Also Talkshow-Bastler: unbedingt mit reinnehmen. Übrigens könnte es sein, daß Sie Ihr Spielpersonal für diesen Themenkomplex in den nächsten Wochen werden um Angela Marquardt aufstocken können; dieser ehemalige PDS-Papagei ist auf seinem Weg durch die deutschen Parteien vorerst bei der SPD gelandet und ließ aus gegebenem Anlaß die Öffentlichkeit wissen, »in der Linkspartei (gebe es) nationalistische und fremdenfeindliche Töne sowie soziale und friedenspolitische Forderungen, die nicht der Realität entsprechen.« Paßt doch.

Unser dritter Baustein – sein Einbau macht natürlich nur Sinn, wenn ein echter LINKE-Linker mit in der Runde sitzt –, dessen sich in Talkshows vornehmlich CSUler bedienen, die im Unterschied zu Vertretern anderer Parteien meist noch das rechte Bibbern in der Stimme hinbekommen, ist der Vorwurf: »Die Linke will eine andere Gesellschaft.« Achgottchen, wenn sie es doch nur wollte …