Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 4. Februar 2008, Heft 3

Sieh’ mal, wer da spricht

von Uri Avnery, Tel Aviv

Manchmal wird etwas über dich gesagt, und du bist nicht ganz sicher, ob es ein Kompliment oder eine Beleidigung ist. Zwei prominente Journalisten, die ich beide schätze, erwähnten meinen Namen im Zusammenhang mit dem Premierminister. Akiva Eldar von Haaretz fragte sich im letzten Monat mit Bezug auf Olmert: »Wie soll man einen Sohn der Kämpfenden Familie (ein Spitzname für die Irgun, der Olmerts Vater als einer ihrer Führer vorstand) behandeln, der sich anhört wie Uri Avnery?« Und in dieser Woche schrieb Gideon Levy in derselben Zeitung, daß Olmert »wie Uri Avnery spricht, wenn auch vierzig Jahre später.«

Ich nehme an, daß sie sich auf den öffentlichen Vorschlag beziehen, den ich vor vierzig Jahren an den damaligen Premierminister richtete, und in dem ich forderte, den Palästinensern die Errichtung eines palästinensischen Staates im Westjordanland und im Gazastreifen zu ermöglichen, die Gebiete, die gerade von israelischen Truppen erobert worden waren. Ich war damals allein unter den 120 Mitgliedern der Knesset, und das von mir geleitete Wochenmagazin Haolam Hazeh war das einzige Blatt, das diesen Plan veröffentlichte.

Und jetzt sagt Olmert, daß der Staat Israel verloren ist, wenn nicht ein palästinensischer Staat an seiner Seite im Rahmen der Zwei-Staaten-Lösung errichtet wird. Sollte ich Genugtuung verspüren? Wenn der Premierminister Israels Positionen akzeptiert, die du bereits vor vierzig Jahren (und auch vor sechzig Jahren) vertreten hast, was könnte besser sein?

In einem Buch, das 1970 vom offiziellen Verlag der PLO in Beirut veröffentlich wurde, wurde die Zwei-Staaten-Lösung als »Avnery-Plan« bezeichnet. Der Autor, Kamil Mansur, verdammte diesen Plan. Aber nur drei Jahre später, Ende 1973, wurde er von Yasser Arafat übernommen. Heute wird er sowohl vom Führer der PLO als auch vom Premierminister Israels unterstützt. Halleluja.

Natürlich macht Olmert diese Aussagen nicht, weil meine Freunde und ich ihn überzeugt hätten. Ich kenne ihn jetzt seit vierzig Jahren, und die meiste Zeit waren wir Feinde. Zu Beginn war er der Gefolgsmann von Shmuel Tamir, der 1967 für den Satz stand: »Befreite Gebiete werden nicht zurückgegeben.« Später als Bürgermeister von Jerusalem, ließ er überall Siedlungen aus dem Boden schießen und provozierte willkürlich blutige Zwischenfälle. Wenn er aber jetzt die Notwendigkeit verspürt, einen Plan zu unterstützen, der das Gegenteil von allem darstellt, was er in seinem ganzen bisherigen Leben befürwortet hat, so deutet dies auf die Popularität der Idee hin.

Aber der Zweifel nagt. Vielleicht sind Olmerts Worte nur eine Illusion? Täuschung? Trickserei? Einige Leute glauben, daß die Gespräche über die »Kernthemen« und ein »Rahmenabkommen vor Ablauf des Jahres 2008« nichts sind als die ausgeklügelte Taktik eines gewitzten Politikers, der in der Patsche sitzt. Wenn in Kürze die Winograd-Kommission ihren Abschlußbericht über den zweiten Libanonkrieg veröffentlicht, könnte sich Olmert in einer sehr unkomfortablen Situation wiederfinden. Demonstranten werden seine Abdankung verlangen. Und von Ehud Barak, dem Vorsitzenden der Arbeiterpartei, wird verlangt werden, daß er am selben Tag sein Amt niederlegt, wie er es versprochen hat, und dadurch wird die Regierung auseinanderbrechen.

In solchen Situationen können Politiker nur eines von zwei Dingen tun: einen Krieg beginnen, oder in Richtung Frieden flüchten. Da die Bedingungen für einen Krieg momentan nicht gegeben zu sein scheinen, ist die einzig verbleibende Option die eines Friedensprozesses. Also wird Olmert zu einem Mann des Friedens.

Skeptiker fragen: Angenommen, dies hilft Omert, die Krise zu überleben und Premierminister mit einer stabilen Koalition zu bleiben – wird  er nicht den ersten Vorwand nutzen, um dem ein Ende zu setzen? Ist dies nicht anhand seiner momentanen Handlungen vorherzusehen – da er die Verpflichtung zum Rückzug von den Siedlungsaußenposten ignoriert, die Bauaktivitäten in Ostjerusalem und dem Westjordanland intensiviert, die Blockade von und das Blutvergießen im Gazastreifen fortsetzt und das Waffenstillstandsangebot der Hamas ablehnt?

Das wichtigste politische Ereignis in letzter Zeit war der Abgang Avigdor Liebermans aus der Regierung. Seine offizielle Begründung war, daß er nicht in einer Regierung verbleiben könne, die Verhandlungen über die »Kernthemen« – Grenzen, Flüchtlinge, Jerusalem und die Siedlungen – führe. Dabei könnte es sich um einen Vorwand handeln. Lieberman vollführt verwickelte politische Schachzüge, denen kein vernünftiger Mensch mehr folgen kann. Aber Tatsache ist Tatsache. Olmerts neue Bewunderer – einschließlich Meretz-Chef Yossi Beilin – behaupten, daß dieser Rücktritt beweise, daß Olmert es tatsächlich ernst meine.

Olmerts Assistenten beruhigen die Rechten: Es gäbe keinen Anlaß zur Beunruhigung. Alles in allem strebe Olmert nur ein »Rahmenabkommen« innerhalb eines Jahres an. »Rahmenabkommen« ist ein neu eingeführter politischer Begriff, der ein Dokument beschreibt, das alle einem eigentlichen Friedensabkommen zugrunde liegenden Prinzipien umfaßt. Seine eigentliche Umsetzung soll dann bis zu dem Punkt verschoben werden, an dem beide Seiten die Grundvoraussetzungen geschaffen haben: die Zerstörung der »Terrorinfrastruktur« einerseits und auf der anderen die »Räumung der Siedlungsaußenposten«. »Das wird niemals geschehen«, sagen Olmerts Leute den Rechten mit einem Augenzwinkern.

Wie auch immer – wenn wir die Möglichkeiten abwägen, sollten wir nicht vergessen, daß den Verlautbarungen eines Premierministers eine Eigendynamik innewohnt, die relativ unabhängig ist von den eigentlich zugrundeliegenden Motiven. Sie können nicht mehr in den Mund, der sie geäußert hat, zurückfließen. Die Worte sind eingegraben in die kollektive Erinnerung, sie verändern das nationale Bewußtsein. Wenn Olmert formuliert, daß der israelische Staat »verloren« sei, wenn nicht ein palästinensischer Staat an seiner Seite etabliert wird, dann handelt es sich um einen bedeutsamen Meilenstein.

In der Zwischenzeit wird die Situation im belagerten Gazastreifen schlimmer und schlimmer. (Der Artikel wurde vor den Ereignissen an der Grenze zu Ägypten geschrieben. Die Redaktion) Die Anzahl der täglich getöteten Palästinenser hat sich verdoppelt, die Palästinenser wiederum haben die Anzahl der auf Israel abgefeuerten Kassam-Raketen verdoppelt, und diesmal übernimmt auch die Hamas offiziell die Verantwortung.

Unter den getöteten Palästinensern war Hussam al-Zahar, der Sohn des früheren Außenministers der Hamas-Regierung. Der Shabak-Sicherheitsdienst behauptet, daß sein Vater der extremste Hamasführer sei. Wenn dem so sein sollte, ist das bemerkenswert. Vor sechzehn Jahren demonstrierte al-Zahar zusammen mit israelischen Friedensaktivisten gegen die Ausweisung islamischer Führungspersonen durch Yitzhak Rabin. Als die Exilierten zurückkehren konnten, organisierte er eine große Versammlung in Gaza, bei der ich eingeladen war, vor Hunderten von Sheiks zu sprechen – auf Hebräisch mit einem Button auf der Brust, der die Flagge Israels und die Palästinas nebeneinander zeigte. Wenn solch eine Person sich in einen der extremistischsten Anführer verwandelt hat, so ist dies unzweifelhaft eine Frucht der Besatzung. Dies beweist erneut auch, daß der Druck, der die Hamas zerstören soll, genau das Gegenteil erreicht. Als al-Zahar seinen zweiten Sohn verlor (der älteste wurde bereits vor einiger Zeit getötet), wurde er zum populärsten Führer in der arabischen Welt.

Sollte ich nun glücklich oder wütend sein, wenn »Olmert sich anhört wie Uri Avnery«?

Aus dem Englischen von Christoph Glanz/Ellen Rohlfs, redaktionell gekürzt