Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 18. Februar 2008, Heft 4

Ernst Schumacher

von Wolfgang Triebel

Es bedarf politischen Mutes, sich heute noch Kommunist zu nennen. In altbundesdeutscher Denkart sind Kommunisten gefährliche Dogmatiker, die – heißt es – die freiheitlich-demokratische Grundordnung abschaffen wollen und vom Sozialismus reden, obgleich er in Europa zerfallen ist. Kommunisten müssen heute gewärtig sein, auf Schäubles Fahndungsliste nach Terroristen zu stehen. Schumacher hat aus Adenauers Zeit vergleichbare Erfahrungen, als ihn Münchener Polizisten mit Gewehrkolben zusammenschlugen. Seine Klage gegen die Polizeiübergriffe wurde vom Gericht in Widerstand gegen die Staatsgewalt »umgewidmet« und brachte ihm Verurteilung und Haft in Stadelheim.

Das Buch ist keine herkömmliche Autobiographie. Autor, Herausgeber und Verlag haben 83 für sein politisches und wissenschaftliches Leben, Denken und Handeln relevante Dokumente (im Ernst-Schumacher-Archiv der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg) ausgewählt. Ein zorniger junger Mann im Nachkrieg sind im Rückblick verfaßte biographische Texte überschrieben. Es folgen Ansichten über Personen und Ereignisse aus den fünfziger, sechziger, siebziger, achtziger Jahren bis 1989/1991 und deren Wirkungen auf sein Leben, die seine Wertungen bestimmten. Schumacher hat weniger Tagebuch, sondern mehr Jahresbilanzen geschrieben, die eine Fülle meist vergessener historischer Details enthalten.

Die ersten Keime seiner kommunistischen Weltanschauung legten sein Onkel Karl, katholischer Pfarrer und Antimilitarist mit »Neigung zu schöngeistiger Literatur« sowie Kriegserfahrungen der Familie 1914 bis 1918. Schumacher selbst erlebte Krieg zwischen 1939 bis 1942. Im Rückblick schrieb er 2003: »Vertane leben, vertane jahre, zum nutzen von junkern, militaristen, kapitalisten, die krieg brauchten, um die interessen ihrer klasse zu wahren und zu mehren.«

Nach dem Studium wurde er Journalist und seit 1949 in Bayern Mitglied der KPD. Die weitere wissenschaftliche und politische Fundierung seines kommunistischen Weltbildes zieht sich als roter Faden durch das Buch. Er war stets Verfechter der Einheit Deutschlands, warnte aber schon 1949/1951: »Man wird … gut daran tun, sich beim Kampf um den Frieden, beim Ringen um die Einheit Deutschlands nicht zu viel auf die Bourgeois zu verlassen. Echte Deutsche unter ihnen sind selten. Sie sind primär Klasse und diese zwingt sie ins Lager des amerikanischen Imperialismus. Unter der Einheit Deutschlands verstehen sie naturnotwendig die Rückkehr als Fabrikbesitzer und Großgrundbesitzer nach Ost- und Mitteldeutschland. Bei aller Bereitschaft und … Notwendigkeit, selbst diese Kreise zu mobilisieren, … darf man dies nicht vergessen.« Nach Eingliederung der DDR in die Alt-BRD 1990 ist er Zeuge moderner Barbarei eines gegen Ideen, Kunst, Kultur, Bildung und Wissenschaft der DDR radikalisierten Imperialismus, der dem Volk seine Betriebe wegnimmt und auf dem Markt mit der Behauptung verhökert, nun erhalte auch dieser Teil Deutschlands Freiheit und Demokratie. »Das armenhaus im osten ist vorprogrammiert«, schrieb er in seiner Jahresbilanz 1990.

1962 floh Ernst Schumacher nach Ostberlin. Hier hatte er mit Bertolt Brecht zusammengearbeitet. Brechts Werke, der Dichter selbst, dessen Umfeld und das Berliner Ensemble haben Schumachers Weltanschauung politisch und wissenschaftlich nachhaltig mitgeprägt. Schumacher und Brecht gehören zusammen, darüber hat er in Mein Brecht geschrieben (Berlin 2006). Die 83 Dokumente, zeitlich meist nach Brecht entstanden, reflektieren Schumachers Aussagen zu politischen Ereignissen und Personen. Er schreibt nicht jetzt darüber, wie er vor Jahrzehnten dachte, sondern man liest, was er vor Jahrzehnten als seine Ansichten aufgeschrieben hat. Dadurch haben die Dokumente für den Leser eine eigene historische Authentizität. Schumacher redigiert heute nicht in seinen Texten herum, um seine Biographie dem Zeitgeist von 2007 anzupassen.

1964 fragte ihn Anna Seghers: »Fühlst du dich bei uns noch immer wie in der Emigration?« Er sagte nicht ja, nicht nein, auch die Dokumente geben keine eindeutige Antwort. 1964 wurde er Professor für Theaterwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Dennoch plagten ihn oft Zweifel, und manchmal fühlte er sich »vor heimweh verreckend«, er konnte seine »früheren Verhältnisse nicht vergessen«. Sein Heimweh hat er nie ganz überwunden, auch nicht nach Annahme der DDR-Staatsbürgerschaft im Mai1972.

Der Herausgeber Michael Schwartz fragt in seiner Einführung (wie andere auch): »… warum konnte dieses Regime 1989 plötzlich wie ein Kartenhaus zusammenbrechen, ohne von seinen Funktionseliten ernsthaft verteidigt zu werden? Von überzeugten Kommunisten wie Ernst Schumacher …« Die Antwort fällt gerade überzeugten Kommunisten schwer. Sie wußten besser als Politbüroverlautbarungen, der DDR-Sozialismus, vom Sowjetmodell abgeleitet, war keineswegs in sich gefestigt. Schumacher, »in einer Gesellschaft lebend, die er bejahte«, sah wie viele andere trotz der Mängel und Schwächen keine Alternative zum Staat DDR.

Manche Dokumente sind voller Bitternis, andere von vorder- oder hintergründigem Humor. Eines schließt mit einem russischen Witz: »Felix Dscherschinski ist durch ein wunder von den toten auferstanden und hat… [den] wunsch, … lenin im mausoleum … ebenfalls wiederzubeleben. Als er auf den roten platz kommt, sieht er einen Mann in richtung weißrussischer bahnhof davoneilen: lenin … mit einer kleinen mappe unter dem arm. Er holt ihn ein, fragt ihn, wohin so eilig, warum zum bahnhof und nicht in den kreml. Lenin lakonisch: ›Nein, so schnell wie möglich nach zürich! Wir müssen wieder ganz von vorn anfangen …‹«

Abgesang auf das Jahr 1991 ist auf Neuanfang gerichtet. Auch wenn sein Lebensziel, »einen neuen himmel und eine neue erde zu schaffen«, dauerhaft nicht erreicht ist und sich der nach 1990 gepriesene »neubeginn als rücklauf zu vordemokratischen, zu zaristischen, pfäffisch-orthodoxen verhältnissen erweist«, Schumachers Optimismus ist ungebrochen, trotz alledem. Ein deutscher Linker, der sich ohne Herzdrücken weiterhin Kommunist nennt, »weil ich einen besseren Sozialismus haben will«.

Ernst Schumacher: Ein bayrischer Kommunist im doppelten Deutschland. Aufzeichnungen 1945–1991, Reihe Biographische Quellen zur Zeitgeschichte, herausgegeben im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte von Elke Fröhlich und Udo Wengst, Band 24; herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Michael Schwarz, R. Oldenbourg Verlag München 2007, 720 Seiten, 69,80 Euro