Des Blättchens 11. Jahrgang (XI), Berlin, 7. Januar 2008, Heft 1

Texte eines Unbequemen

von Peter Rotkehl

Siebzehn Jahre nach ihrer Gründung gibt die Robert-Havemann-Gesellschaft jetzt eine vollständige Bibliographie des wissenschaftlichen und politischen Werks des Dissidenten Havemann im Berliner Akademie Verlag heraus. Der im September 2005 nach kurzer schwerer Krankheit verstorbene Archivar Werner Theuer konnte das Findbuch des Havemann-Nachlasses noch selbst fertigstellen, der Torso der von ihm vorbereiteten Bibliographie wurde von Bernd Florath neu geordnet und ergänzt, die Arbeit zu Ende geführt.

Das jetzt vorgelegte Buch enthält neben der verzeichneten Primärliteratur – etwa tausend Artikel, Schriften, Bücher, Interviews – und Sekundärliteratur – weitere 1400 Einträge – auch 24 Texte aus dem Nachlaß. Erstveröffentlichungen sowie kritisch durchgesehene und kommentierte politische Schlüsseltexte des Sozialisten Havemann, wobei auf bereits Bekanntes, mehrfach Veröffentlichtes verzichtet wurde. Nach dieser Kärrnerarbeit ist es möglich, »das Profil des Sozialisten und Naturwissenschaftlers nachzuzeichnen, der gut zwanzig Jahre lang die zentrale Bezugsperson oppositioneller Bewegungen in der DDR war. Mit seiner antinazistischen Vergangenheit ermöglichte Havemann der jüngeren Opposition ein fast selbstverständliches Anknüpfen an die Tradition des Antifaschismus«, meint Klaus Wolfram in seinem Vorwort. Daß Havemann »die Demokratisierung der DDR bis zuletzt in einer sozialistischen Perspektive sah, teilte er mit Wolfgang Harich und Rudolf Bahro, den anderen großen Oppositionellen der DDR-Geschichte, doch war seine Wirkung nachhaltiger und reichte tiefer. Um den geschichtlichen Horizont wieder erkennbar zu machen, in dem der Professor für physikalische Chemie mit seinem politischen Temperament agierte, sind dem Buch … Texte aus dem Nachlaß beigegeben. Mögen sie dem heutigen Leser – wenigstens in Umrissen – den ganzen Mann mit seiner Herkunft, der Widerstandsbiographie, dem frühen Engagement für die DDR, dem fortgesetzten Nachdenken, der verwegenen demokratischen Provokation, seiner unstillbaren Lebenslust und politischen Neugierde anschaulich machen.«

Bernd Floraths Essay Havemann, der Publizist enthält mehr als nur aufschlußreiche Hinweise über Leben und Werk des Unangepaßten und von der Gedenkstätte Yad Vashem postum mit dem Titel Gerechter unter den Völkern geehrten Deutschen. Die hier zur Diskussion gestellten Überlegungen hat Florath an anderer Stelle ausführlicher entwickelt. Es geht um jene Mißverständnisse, Verkürzungen und Fehlinterpretationen und die sich daraus für die westlichen Demokratien ergebenden Schwierigkeiten, »Intentionen, Möglichkeiten und Aktivitäten von Oppositionellen in diktatorischen Regimen in die eigenen politischen Denkkulturen zu übersetzen, sie gewissermaßen lesbar zu machen für die eigene, so vollkommen andere Erfahrungswelt«.

Den auf dem Einband abgebildeten Havemann in Grünheide, zwischen Schreibmaschine und Sauerstoffgerät, haben viele meiner Generation so im Gedächtnis behalten, wie ihn Jens Reich in seinem Erinnerung betitelten Text beschreibt: als einen Akteur im Medienkrieg. Der vom führenden Wissenschaftler zum unter Hausarrest stehenden Rentner Degradierte kroch nicht zu Kreuze. Auch für Manfred Bierwisch ist das in seiner hier abgedruckten Würdigung des Renegaten das Leitmotiv: »Havemann hat sich von der Partei, der er mit Überzeugung angehört hat, ebenso überzeugt getrennt, er hat ungebrochen das benannt, was er für verkehrt, unwürdig und gefährlich hielt. Er hat die Schikanen, Einschränkungen und Entwürdigungen, die das zur Folge hatte, gekannt und bewußt in Kauf genommen. Er ist ungebrochen geblieben in einer Situation, in der er seinen Kampf nicht gewinnen konnte. Oder doch?«

Der Spiegel hat in seinen Kulturnotizen unter der Überschrift Delikate Dokumente auf diese wissenschaftliche Publikation gleichsam als seriöses Gegenstück zur vom Sohn Florian Havemann gerade im Suhrkamp-Verlag erschienenen belletristischen Version der Geschichte hingewiesen. Theuer und Florath wollen allerdings mehr: Die Würdigung des Wissenschaftlers Havemann durch diese Veröffentlichung in der Reihe der wissenschaftlichen Bibliographien des Akademie Verlags und zugleich eine dokumentengestützte Erzählung von seinem antifaschistischen Kampf über sein Engagement für den Staat DDR bis hin zur Bürgerbewegung der achtziger Jahre: »Havemann, der Kommunist, der das herrschende System der SED gerade deshalb kritisierte, weil es für ihn nichts mit den emanzipatorischen Ideen des ursprünglichen Kommunismus zu tun hatte, sah in der Friedensbewegung … erstmals eine politische Bewegung, die von unten, selbstverantwortlich, elementar demokratisch, Emanzipation von Staatsangehörigen der DDR zu Bürgerinnen und Bürgern realisierte«, schreibt Florath.

Werner Theuer, Bernd Florath: Robert Havemann Bibliographie. Mit Texten aus dem Nachlaß. Herausgegeben von der Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., XXXV + 434 Seiten, Akademie Verlag Berlin 2007, 59,80 Euro