von Klaus Hart, São Paulo
In der südbrasilianischen Millionenstadt Porto Alegre, wo zweimal das Weltsozialforum stattfand, betonten jetzt auf ihrer »Kontinentalversammlung« die Guarani-Indianer Südamerikas, stets mitten in der Natur gelebt und sie immer respektiert zu haben. Andere Stämme Lateinamerikas unterstreichen ebenfalls die Harmonie zwischen Indio, Tier und Pflanze. Indianer, so liest man auch in Deutschland immer wieder, seien die reinsten Ökologen, geradezu geniale Naturschützer. Indianer agierten durchweg umweltfreundlich, entnähmen der Natur nur, was unbedingt nötig sei. Zerstörung der Natur durch Indianer – undenkbar, unmöglich.
Doch renommierte brasilianische Biologen und Umweltaktivisten sagen, es handele sich bei diesen Aussagen um Unsinn, um Dummheiten, sogar um Lügen. Was Indianer in ihren eigenen Reservaten und in den großen Schutzgebieten allein in den vergangenen zehn Jahren angerichtet hätten, zeige ein ganz anderes Bild.
Bereits ein Blick in die brasilianische Qualitätspresse fördert Verwirrendes bis Beunruhigendes zutage. Antonio Miquiles, Stammesführer der Saterè-Mauè in Amazonien erklärt, daß Indios seiner Region mit Dynamit fischten und deshalb die Fische auszusterben beginnen. Amazonasindianer, liest man weiter, benutzten zur Jagd nicht mehr Pfeil und Bogen noch gar Blasrohre, sondern moderne Gewehre und Maschinenpistolen. Früher traf man im Amazonasurwald häufig auf Primaten. Heute sind in weiten Teilen die größeren Arten bereits extrem selten geworden oder gar lokal ausgerottet.
Brasiliens Zeitungen berichten, daß sich der Konflikt zwischen Indianern und Umweltschützern ständig verschärfe, weil Indianerstämme die eigenen, zum Teil riesigen Reservate abholzen und dabei zu Komplizen von Holzunternehmen werden. Sie dringen systematisch in die Schutzgebiete für vom Aussterben bedrohten Arten ein, beuten diese Regionen kommerziell aus und zerstören sie systematisch. Mit Motorsägen roden Indianer sogar Urwald in einem Unesco-Welterbe-Schutzgebiet, dem Nationalpark »Monte Pascoal« in Bahia.
Wie steht Mario Mantovani, Präsident der angesehenen Umweltstiftung SOS Mata Atlantica in São Paulo, zu Auffassungen, nach denen den Indios als exzellenten Hütern des Regenwaldes jede zerstörerische, gar kommerzielle Nutzung der Natur völlig fremd sei? »Das ist natürlich eine idealisierte Sicht. Diese idyllische, vereinfachende Darstellung der Indios lassen wir lieber beiseite. Die Indianer handeln wie jeder andere Naturzerstörer auch. Und deren Fähigkeit zur Zerstörung, deren Druck auf die Natur wächst – je mehr sich der Staat zurückhält, untätig bleibt. Indioführer verursachen in der Natur ein Desaster.«
Vor allem Häuptlinge wurden durch illegalen Handel mit Edelhölzern, Edelsteinen und Rauschgift zu Millionären. Jeder kann es beobachten: Indianer bieten vom Aussterben bedrohte Tiere feil und beliefern Souvenie rläden und Souvenierfirmen mit den Federn selbst seltenster Vögel.
Nur zu oft heißt es hierzulande, die portugiesischen Kolonialisten hätten in Brasilien die grauenhaften Brandrodungen eingeführt, die bis heute landesweit – nicht nur in Amazonien – die Wälder und die Savannen dezimieren und den entsetzlichen Feuertod ungezählter Tiere bewirken. Marcos Sà Correia sieht es differenzierter, verweist auf seriöse Studien: »Die Indianer pflegten Urwald abzubrennen, um sich die Jagd zu erleichtern oder um Anbauflächen zu gewinnen. Schauen wir auf die Wüsten von New Mexico – bereits vor der Entdeckung waren sie von den Indianern durch Waldvernichtung geschaffen worden. Auch auf den Osterinseln wurde aller Wald durch Indios zerstört.« Große Regionen mit Savannenvegetation seien in Amazonien keineswegs natürlich entstanden, sondern durch Brandrodungen der Indianer, lange vor der Entdeckung des heutigen Brasilien durch die Portugiesen.
Bis heute, betonen selbst Behörden, trieben sich die Jäger immer noch das Wild mit Flammenwänden zu. Problematisch werde es, wenn das Feuer außer Kontrolle gerate und enorme Reservatsflächen zerstöre.
Der Biologe Fabio Olmos arbeitete bereits als Berater für das Umweltprogramm der UNO, aber auch für die Welternährungsorganisation FAO. »Analysieren wir die Fakten – ohne Vorurteile. Die Völker Polynesiens haben mindestens zweitausend Vogelarten ausgerottet – viel mehr als wir in der westlichen Industriekultur. Schauen wir in die Berichte der Entdecker Amerikas – da wird die Brandrodung ebenso beschrieben wie die unintelligente Jagd. In Nordamerika zum Beispiel haben die Indianer viel mehr Büffel getötet, viel mehr Tiere über Felsklippen in den Abgrund getrieben, als sie konsumieren konnten. Indianergruppen betreiben durchaus Artenvernichtung, agieren keineswegs umweltverträglich, führen wichtige Naturressourcen zum Kollaps und schaden sich damit selbst am meisten. Die These, daß Indios Selbstversorger seien, die Natur lediglich moderat ausbeuten, ist eine Lüge. Die sogenannten traditionellen Völker besitzen keine Philosophie der Naturbewahrung.«
Brasilien gehört zu den korruptesten Ländern des Erdballs, selbst die sogenannten regierungsunabhängigen Organisationen, die NGOs, sind wegen Korruption und anderen betrügerischen Machenschaften regelmäßig in den Schlagzeilen. Der berühmte Staatspark Intervales bei São Paulo war einst die Perle in der Krone des brasilianischen Atlantikwaldes, dessen bestgeschützte Region. Doch dann holten NGOs aus anderen brasilianischen Teilstaaten und sogar aus Paraguay Guarani-Indianer, transportierten sie mit Bussen in diesen Staatspark, pflanzten sie dort hinein. Und nun zerstören diese Indios das Schutzgebiet.
Jene NGOs leben davon, für Indios sogenannte nachhaltige Entwicklungsprojekte zu realisieren, sie bekommen dafür Gelder sogar aus dem Ausland, auch von Regierungen. Wie überall gibt es auch in dieser Szene Gauner, die schlicht und einfach Gelder abfassen wollen – per Umweltbetrug. Laut Olmos kommerzialisieren die Bewohner der Guarani-Dörfer in den Atlantikwäldern seltenste Orchideen und Bromelien, natürlich illegal, und schießen selbst im Staatspark Intervales mit ihren Jagdflinten seltene Tiere ab, verkaufen das Wildbret an Restaurants und Privatpersonen. Und schaffen damit in der Region auch soziale Spannungen: weil die Indios eben dürfen, was den Nicht-Indios laut Gesetz strengstens verboten ist. Zudem brachten die Guarani in die besetzten Naturschutzgebiete ihre Hunde mit, die dort ungehindert Wildtiere jagen.
Viele Brasilianer haben Indios als Vorfahren, sind Mischlinge. Wie gehen sie mit der Natur um? Elena Silveira aus dem nordöstlichen Teilstaat Cearà diskutierte in der Kindheit mit dem eigenen Vater, einem Indionachfahren, weil er illegal mit dem Gewehr den nahen Wald bis zum allerletzten Tier leerwilderte – und auch den nahen See komplett leerfischte, zum Schaden der eigenen Familie. »In Brasilien fehlt der Gedanke, für kommende Generationen die Natur zu bewahren. Man denkt, Hauptsache für mich reicht es. Morgen bin ich ohnehin nicht mehr auf der Welt. Und wenn es heißt, ein Tier stehe vor der Ausrottung, sagt man: ›Na und? Das ist doch egal.‹ Man denkt nur an heute.«
Schlagwörter: Klaus Hart