von Klaus Hart, São Paulo
Stellen wir uns vor, in Havanna oder Moskau würden Oppositionelle, Bürgerrechtler lebendig verbrannt. Wie dann westliche Medien, Regierungen, Institutionen, Parteien reagieren würden, weiß jeder. Aber halten wir uns an die Fakten.
In Lateinamerikas größter bürgerlicher Demokratie ist das Verbrennen von Mißliebigen bei lebendigem Leibe seit Jahrzehnten Praxis und jenen Medien, Regierungen, Institutionen, Parteien bestens bekannt. Fotos und Augenzeugenberichte gehen regelmäßig durch brasilianische Zeitungen. Doch Reaktionen bleiben aus, brasilianische Menschenrechtsaktivisten sind tief enttäuscht.
Seine neueste Arbeit hat der mehrfach preisgekrönte brasilianische Fotograf Rogerio Reis aus Rio de Janeiro den modernen Scheiterhaufen im Parallelstaat der Slums gewidmet. Reis wird die Fotoinstallation in Paris zeigen, will die Weltöffentlichkeit über diese »Akte der Barbarei« informieren und darüber eine Debatte in Gang bringen. Die Installation aus 24 Fotos heißt Microondas, Mikrowelle. So nennen die Slumdiktatoren des organisierten Verbrechens – und inzwischen auch der Volksmund – jene Scheiterhaufen aus Autoreifen, auf denen regelmäßig Menschen lebendig verbrannt werden. Auch, um damit Millionen von Bewohnern der Elendsviertel einzuschüchtern.
Man kann sich in die Installation von Rogerio Reis stellen und sieht sich dann umzingelt von großen Farbfotos, die Autoreifen in Flammen zeigen. Auf journalistischen Schwarzweißfotos ist der Horror ganz konkret zu sehen. Die Reifen werden gewöhnlich über das gefesselte Opfer gestapelt und dann angezündet. »Aus Empörung über diese Akte der Barbarei, diesen unglaublichen Terror habe ich die Fotoinstallation geschaffen – eine Art von engagierter Kunst«, sagt Reis. »Daß da willkürlich Menschen gefoltert, außergerichtlich zum Tode verurteilt und schließlich verbrannt werden – das darf man doch nicht hinnehmen. Ein enger Freund von mir, der brasilianische Fernsehjournalist Tim Lopes, erlitt dieses Schicksal, ist eines der vielen Opfer. Ich will mithelfen, diese Zustände zu beseitigen – man muß endlich damit anfangen. Ich will die Mittel der Kunst nutzen, um anzuklagen.«
Reis stellte seine Installation auch im Kulturzentrum der brasilianischen Bundesjustiz in Rio de Janeiro aus. Die Zeitung O Globo schilderte zeitgleich – und zum wiederholten Male – in einer Artikelserie die Zustände in der Slumdiktatur. Die Zahl der Verschwundenen sei heute 54 Mal höher als während des 21jährigen Militärregimes. O Globo berichtete auch über die Sondergerichte der Slumdiktatoren, über deren drakonische Strafen und über die Scheiterhaufen. Sie sind kein neues Phänomen in der brasilianischen Demokratie, und, wie Reis betont, wissen verantwortliche Politiker, internationale Menschenrechtsorganisationen und auch Intellektuelle Brasiliens seit langem darüber bescheid. Auffällig sei das Schweigen. »Diese Akte der Barbarei sind ein solcher Rückschritt im zivilisatorischen Prozeß, daß viele Leute den Tatsachen nicht ins Auge sehen und dies alles nicht wahrhaben wollen. Ich sehe da auch viel Scheinheiligkeit. Über diese grausamen Menschenrechtsverletzungen muß man diskutieren – doch just dies ist nicht erwünscht. Der Staat hat sämtliche Machtmittel, um diese Barbarei sofort zu beenden, doch dazu fehlt politischer Wille.«
Der dunkelhäutige Schriftsteller Paulo Lins schrieb den sozialkritischen Bestseller Cidade de Deus (Gottesstadt), über einen Rio-Slum, war Co-Regisseur der Buchverfilmung. Die kam als City of God in die europäischen Kinos, zerstörte bei vielen sozialromantische Brasilienklischees. »In City of God arbeitete ich auch mit dem Musiker und Poeten Marcelo Yuka eng zusammen, der auf seiner neuesten CD einen Titel diesen modernen Scheiterhaufen gewidmet hat. Da beschreibt er die Gefühle der Slumbewohner, wenn ihnen der Geruch brennender Autoreifen in die Nase steigt – und alle genau wissen, was ganz in ihrer Nähe geschieht. Marcelo Yuka wurde von neun Banditenschüssen getroffen, er sitzt gelähmt im Rollstuhl.«
Rocha zählt zu den wichtigsten investigativen Journalistinnen Brasiliens und hat Yuka in ihrer O-Globo-Artikelserie auch zur Kulturzensur zitiert: »HipHop und Funk sind heute die typische Musik der Slums von Rio, es gibt viele Gruppen, Bands. Doch die gesamte kulturelle Produktion wird von den Gangstersyndikaten kontrolliert, zensiert. Natürlich darf in den Musiktiteln die Polizei kritisiert werden, nie aber das organisierte Verbrechen. Andernfalls würden die Musiker mit dem Tode bestraft. Die NGO dort müssen sich ebenfalls dem Normendiktat unterwerfen. Um die Kontrolle über den Informationsfluß des Slums zu halten, hören Banditenkommandos die Telefongespräche der Bewohner ab, überwachen selbst den Austausch von E-Mails. Gangstermilizen befehlen, daß Kleidung bestimmter Marken, Geschäfte und Farben nicht getragen werden darf.«
Eine an Fakten orientierte Berichterstattung über soziokulturelle Tatsachen in bestimmten Ländern wird heute in Deutschland zunehmend durch Zensur behindert, verhindert. Wo, wie, in welchen Medien und Institutionen kräftig zensiert wird, bekommt man heute dank google rasch heraus. Machen Sie einfach mal den Test, etwa mit einigen Stichworten aus diesem Beitrag.
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