von Karsten Schuldt
Ende August 2007 titelten zahlreiche Medien, daß Sachsen in Deutschland Spitzenreiter in Sachen Bildung sei. Laut dem neuen Bildungsmonitor der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) hatte sich das Bundesland seit 2004 um 16,2 Punkte verbessert. Und das bedeutet? Man weiß es nicht so recht.
Die INSM ist eine umstrittene Organisation, die von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektro-Industrie finanziert wird und eine recht eigenwillige Auffassung von sozialer Marktwirtschaft vertritt. Praktisch geht es bei ihr darum, mit Mitteln der PR den Umbau der Gesellschaft zu einer radikal wirtschaftlich ausgerichteten voranzutreiben. In die Kritik geriet die Initiative, weil sie dieses Ziel einerseits hinter einem Diskurs über soziale Gerechtigkeit versteckt und andererseits mit strittigen Mitteln arbeitet. So übernimmt sie offenbar gern das Schreiben von Texten, die dann als redaktionelle Artikel erscheinen. Oder sie schickt ihre Botschafter in Talkshows, in denen sie für jeweils unterschiedliche Institutionen auftreten.
Daß ein von dieser Organisation veröffentlichter Bildungsmonitor nicht unbedingt Auskunft über das gibt, was gesellschaftlich unter Bildung verstanden wird, ist zu erwarten. Wobei zugestanden sein soll, daß es nicht ganz einfach ist zu bestimmen, was unter Bildung zu verstehen ist. Die einen meinen damit eine breite Allgemeinbildung, andere ein möglichst passendes Anwendungswissen; die einen erwarten, daß Bildung die Chancen der Menschen auf dem Arbeitsmarkt verbessere, andere sehen in ihr ein Mittel im Kampf gegen Rechtsextremismus.
Die INSM hat von Bildung eine klare Vorstellung, die allerdings zumeist unausgesprochen bleibt. Bildung sei, was Menschen befähigt, den jeweils gestellten Anforderungen am Arbeitsplatz zu genügen. Natürlich weiß auch die INSM und das Institut der deutschen Wirtschaft, das den Bildungsmonitor erarbeitet hat, daß Bildung ein komplexer Prozeß ist, bei dem unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielen. Doch letztlich ist es diese Vorstellung von Bildung, mit der im Bildungsmonitor gemessen wird. Es wurden 104 Kriterien festgelegt, nach denen die Bildungssysteme der Bundesländer befragt wurden. Wieso gerade diese, wurde nicht nachvollziehbar begründet. Ebenso blieb unklar, wie die abgefragten Werte in Punkte umgerechnet wurden. Alles, was die INSM mitteilt, ist, daß Sachsen als Sieger 68,9 Punkte und Mecklenburg-Vorpommern als Verlierer 48,5 Punkte erhalten habe. Nachzuprüfen ist das nicht.
Was allerdings weder Medien noch Politik davon abhielt, mit diesen Werten zu operieren. Und wie bei den PISA-Studien, bei denen Finnland als bestes Land galt, ständig gefragt wurde, wie das finnische Schulsystem kopiert werden könne, wird jetzt danach gefragt, wie das sächsische zum gesamtdeutschen gemacht werden könne. Die INSM hat die Kriterien definiert und damit effektives Agendasetting betrieben.
So fragt der Bildungsmonitor beispielsweise nach den eingeworbenen Drittmitteln der Universitäten. Das ist zumindest ein umstrittener Themenkomplex. Sollen Universitäten Drittmittel einwerben? Wenn ja, wieviel, wofür und von wem? Wenn man sich an diesem Bildungsmonitor orientiert, übernimmt man stillschweigend die Vorstellungen der INSM, daß Drittmittel ein guter Indikator für Bildung seien.
Wobei keineswegs jede abgefragte Kategorie abwegig ist. So wird nach der Ganztagsbetreuung in Krippen und Kitas gefragt. Die wird bekanntlich von unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen gefordert. Doch es ist immer zu fragen, wer das warum tut. Bei der INSM, die parallel für Studiengebühren eintritt, geht es dabei offensichtlich um anderes als bei Gewerkschaften, Elternverbänden oder der Familienministerin.
Gleichzeitig reduziert der Bildungsmonitor wie viele andere Studien auch Bildung auf das formale Bildungssystem von Kita, Schule, Ausbildung und Hochschule. Volkshochschulen, Bibliotheken oder selbstorganisiertes Lernen nach der Ausbildung gelten offenbar als unwichtig.
Dennoch ist es nicht möglich, den Bildungsmonitor einfach zu ignorieren. Die Politik benutzt ihn als Instrument zur Bewertung des deutschen Bildungssystems. Zwar wird offiziell immer wieder darauf verwiesen, daß es mehr als dieser Daten bedürfe, um Bildung zu bewerten. Doch wenn man schaut, wie die PISA-Studien rezipiert wurden – in denen immerhin versucht wurde, die Grenzen der gesammelten Daten zu reflektieren –, bemerkt man, daß diese Erkenntnis im bildungspolitischen Alltagsgeschäft schnell vergessen ist.
Und so wird letztlich über den Bildungsmonitor, ohne es explizit einzuräumen, in der Gesellschaft eine radikal marktwirtschaftliche Vorstellung davon, wie das Bildungssystem auszusehen und was es zu leisten habe, als Bewertungsgrundlage verankert. Als Mittel gegen Rechtsextremismus ist Bildung dann allerdings nicht mehr vorgesehen.
www.insm-Bildungsmonitor.de; Polemik: www.insmwatchblog.org
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