Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 3. September 2007, Heft 18

Was treibt China?

von Heerke Hummel

Gewitter kommen oft aus heiterem Himmel – in der Natur und auch in der Wirtschaft. Die Weltwirtschaft boomt und mit ihr die Gemeinschaftswährung der Europäischen Union. Mit einem Kurs von 1,3832 Dollar erreichte der Euro Mitte Juli eine relative Stärke wie nie zuvor.
Doch: Stets verdienen ungewöhnliche Zeichen und Erscheinungen besondere Aufmerksamkeit. Wenn ein arm anmutender Mann vor einer großen Bank mit einem klapprigen Wägelchen halt macht und einen Koffer voll Geld hineinschleppt, schauen wir normalerweise erstaunt hin. Kaum jemanden aber scheint es zu verwundern, daß zum Ende des vergangenen Jahres die Volksrepublik China für 232 Milliarden Dollar mehr Waren und Güter nach den USA exportiert hatte, als von dort zu importieren, und so sich die chinesischen Devisenreserven auf satte 1200 Milliarden (1,2 Billionen!) Dollar erhöhten. Man sollte meinen, China benötige selber dringend (fremdes) Geld, um die eigene Wirtschaft zu modernisieren – wenn man nur an die mangelnde Sicherheit in den Bergwerken mit ihren furchtbaren Grubenunglücken in den vergangenen Jahren denkt; von der ungeheuren Armut der Mehrheit der in China lebenden Menschen ganz zu schweigen. Doch die Volksrepublik verlieh ihr Geld, kaufte US-amerikanische Staatsanleihen und sonstige Wertpapiere und beteiligte sich damit an der Finanzierung des Wohlstands der USA und an deren Kriegspolitik. Offenbar eine »verkehrte Welt«.
Was kann die Kommunistischen Partei Chinas zu solcher Politik treiben? Zwar wird im Zusammenhang mit China vielfach von einem »staatskapitalistischen« Weg (was immer darunter zu verstehen ist) gesprochen, doch das subjektiv verfolgte Ziel der KP, die ja immer noch die Entwicklung des Landes und der Wirtschaft bestimmend beeinflußt, dürfte sich nicht darin erschöpfen, Reichtum schlechthin (und noch dazu lediglich in Gestalt papierner Lieferversprechen, denn nichts weiter sind – in äußerst fragiler Form – Dollar wie Euro) anzuhäufen, um sich daran zu berauschen. Auch wenn unlängst in der Presse getitelt wurde Peking sucht nach üppiger Rendite, scheint es doch sehr wahrscheinlich zu sein, daß der unmittelbare ökonomische Nutzen größer wäre, wenn die Mittel in die eigene Volkswirtschaft produktiv investiert würden, anstatt sich mit einer Rendite zu begnügen, die ja immer nur einen Teil des mit dem Geld erwirtschafteten Nutzens für andere ausmacht.
Statt rein ökonomischer Erklärungsmuster eignen sich hier offensichtlich politisch-strategische deutlich besser: China strebt mehr Macht an. Schon vor mehreren Jahren kritisierte der republikanische Kongreßabgeordnete Ron Paul in einem Zeitungsartikel unter der Überschrift Die Schulden sind die größte Bedrohung für unsere Sicherheit die Schuldenpolitik seines Parteifreundes George W. Bush. Als geradezu ohnmächtig erweise sich die bürgerliche Finanzgesellschaft gegenüber der ökonomischen Offensive Chinas. Rund hundert Jahre nach der Niederschlagung des Boxeraufstandes und sechzig Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges, in dessen Spätfolge das volkreichste Land der Welt sich mit revolutionärer Gewalt der Ausbeutung durch den Westen entzog, werden die militärischen Waffen, die atomaren eingeschlossen, in der Wirkung von der Ökonomie übertroffen. (Bereits im sogenannten Kalten Krieg, der nicht zuletzt ein Wirtschaftskrieg war, ließ sich der Sowjetblock vom Westen ökonomisch totrüsten.) Das immer noch »kommunistische« China schickt sich nun an, sich gegenüber dem Westen mit Hilfe dessen eigenen Finanzsystems zu behaupten. Ein Strategiewechsel erster Güte!
Nicht erst seit gestern fragen sich Experten, wie lange die Unsummen des Doppeldefizits von Staatshaushalt und Leistungsbilanz in den USA – deren Auslandsschulden liegen heute bei zehn Billionen Dollar – vom Ausland aufgebracht werden (können). Diese Skepsis wird auch auf den Finanzmärkten geteilt. Das ist einer der Gründe für die drastische Abwertung des Dollars gegenüber Yen und Euro, die seit Jahren stattfindet. Sollten die Defizite nicht mehr finanzierbar sein, würde die US-Wirtschaft abstürzen, wodurch die nach wie vor wichtigste globale Konjunkturlok ausfiele – mit kaum überschaubaren Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und deren Finanzsystem.
China könnte durch den Verkauf seiner Reserven den Dollar in den Keller stürzen lassen, die amerikanischen Zinsen in die Höhe treiben und eine Weltwirtschaftskrise auslösen. Das weiß man in Washington ebenso wie in Brüssel. Chinas Premier Wen Jiabao tat deshalb auf dem diesjährigen Nationalen Volkskongreß alles, um der Welt zu zeigen, daß sein Land keine Bedrohung sei. Und er versprach, daß, was immer seine Regierung mit den Devisen unternehme, dies »keinen Einfluß auf die Dollaranlagen« Chinas haben werde, wobei er nicht versäumte, darauf hinzuweisen, daß diese Dollaranlagen »im gegenseitigen Interesse« gekauft worden seien.
Bei einem fallenden Dollarkurs drohen Peking die größten Devisenwertverluste der Wirtschaftsgeschichte. Dieser Umstand erklärt die Gelassenheit, mit der die US-Regierung auf alle Vorwürfe aus Europa wegen ihrer Haushalts- und Finanzpolitik reagiert. Doch zahlreiche Ökonomen weisen auf die Gefahr hin, daß wegen der währungsbedingten Verluste China und andere Gläubiger ihre USA-Anlagen umschichten könnten. Denn schon jetzt wenden sich immer mehr Länder dem Euro als Währungsanker zu. Chinas augenblickliche Stärke in diesem Feld der Global-Player resultiert nicht zuletzt daraus, daß sein mehr und mehr dominierendes Potential einem einheitlichen zentralen Willen unterworfen ist, der Vernunft walten lassen kann, wo privater Bereicherungstrieb zum Chaos zu führen droht. Das läßt vorerst noch hoffen!