Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 6. August 2007, Heft 16

Wie man das Sommerloch überbrückt

von Angelika Leitzke

Die Theater sind geschlossen, in den Kinos läuft nur Unsinn, und die mediale Erregungsindustrie läßt gerade ihr Betriebssystem überholen. Es ist Sommerpause. Sie tritt immer dann ein, wenn die Parlamentarier in den Urlaub fahren und außer kleineren Störfällen in Atomkraftwerken und den üblichen Sprengstoffattentaten im Nahen Osten nichts weiter passiert. Sie verheißt uns jede Menge freie Parkplätze in der Innenstadt und überfüllte Freibäder. Da die Temperaturen sich wenigstens zwischenzeitlich auf die Saison einstellen, wird die Sommerpause auch ihrem Namen gerecht und muß nicht als »vorherbstliche Flaute« in die Wetteraufzeichnungen eingehen.
Damit ist es endlich Zeit, statt Frau Merkels Ponyfransen den deutschen Aktienindex oder Damien Hirst’ neuesten Medikemantenschrank zu studieren, einen Blick auf den Himmel zu werfen. Jawohl, auf den Himmel. Nicht nur auf den bereits verfilmten über Berlin oder der Wüste, sondern auf den über ganz Deutschland, ja der ganzen Welt.
»So gibt mir der Anblick eines bestirnten Himmels, bei einer heitern Nacht, eine Art des Vergnügens, welches nur edle Seelen empfinden. Bei der allgemeinen Stille der Natur und der Ruhe der Sinne redet das verborgene Erkenntnisvermögen des unsterblichen Geistes eine unnennbare Sprache«, sagte Kant, der in dem gestirnten Himmel über uns das höhere Gesetz des Kosmos zu erkennen glaubte. Und John Lennon sang in den freiheitsdurstigen Sechzigern: There is no heaven, above us only sky: Der Himmel soll auf Erden errichtet werden. Meterologen reden da lieber von Cirrus-, Cumulus- oder Altostratuswolken, anhand derer sie uns prophezeien, ob wir im Urlaub oder daheim baden gehen oder nicht. Damit wäre der Himmel wissenschaftlich unter Dach und Fach gebracht, egal, ob wir ihn von unserem Hinterhoffenster oder der Veranda unseres Eigenheims aus betrachten, und wir können beruhigt schlafen gehen.
Die Klassifizierung der verschiedenen Wolkenarten geht auf den englischen Apotheker Luke Howard zurück, der auf 27 Arten in verschiedenen Höhenlagen kam und sie 1802 in einem Vortrag vor der Askesian Society in London, einer Gemeinschaft wissenschaftlich interessierter Leute, vorstellte. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hat auch die Künstler die Faszination der Wolken und des Himmels ergriffen: Caspar David Friedrich, Menzel, Turner und selbst Goethe malten oder zeichneten Wolken, jedoch wären auch Lorrains Italienlandschaften ohne einen azzurro cielo ziemlich öde. Schließlich ist mit dem Himmel gutes Geschäft zu machen: Gerhart Richters Wolkenbild konnte im vergangenen Jahr auf einer Berliner Aktion den stolzen Preis von einer knappen Million Euro erzielen, warum, weiß eigentlich niemand so recht, bekommt man doch die flokkigen Gebilde gratis zu Gesicht, sofern sie über uns vorüberziehen oder auf der Denkerstirne unseres Nachbarn zu beobachten sind.
Außerdem gilt ein Blick auf den Himmel als meditative Erholung und Kreativitätstraining, mit dem man die Sommerpause ohne jeden Aufwand überbrücken kann. In die Weite des Himmels zu schauen, erfrischt Geist, Gemüt und Auge und die Phantasie darf anhand der bizarren Wolkengebilde erraten, ob es sich dabei um einen metereologischen Abklatsch des Himalajas oder um Tante Friedas dämliches Gesicht handelt. Nur atomare Pessimisten und Spielverderber vermuten in ihnen Unheil aus dem hohen Norden Deutschlands. Nicht zuletzt regnet es ja in manchen Nächten bekanntlich Sternschnuppen, die uns unermeßliche Reichtümer versprechen.