Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 6. August 2007, Heft 16

Lieber schwuler Freund …

von Ines Fritz

Eine gewisse »Chantal«, ihres Zeichens bekennende Lesbe und Feministin, hat uns in der »Emma« mit einem offenen Brief an einen imaginären lieben, schwulen Freund beglückt. Unter Verwendung allerlei Klischees fordert sie vom Namenlosen gegen Hetero-Männer uneingeschränkte Solidarität, wie es einst anläßlich des Waffenganges in den Irak George W. Bush mit Gerhard Schröder nicht schlimmer tat. Nicht nur der liebe, schwule Freund darf über so viel dreistes Pathos ganz unlieb empört sein – auch ich bekenne mich zur ohnmächtigen Verzweiflung:

Werte Chantal!
niemanden interessiert es, ob Sie eine Lesbe sind oder eben nicht. Homosexualität wird Ihnen kaum die Solidarität der Schwulen sichern, wenn Sie Ihnen sonst nur Vorwürfe machen. Ob schwule Männer hinter Büschen den schnellen Sex suchen oder Lesben etwas Rotwein vor dem Stelldichein zu sich nehmen, interessiert vielleicht die Befüller von Klischeemaschinen, aber es rechtfertigt nicht Ihren zweifelhaften Kampf gegen Prostitution und Pornographie, den nun auch noch schwule Männer auszubaden haben, die ganz sicher nichts von Frauen wollen. Ihr pseudoemanzipatorischer Endsieg wird uns allen hoffentlich erspart bleiben!
Zweifelsohne sind Prostitution und Pornographie kritisch zu betrachten, aber mit einem Verbot bekämpft man eben nur die Symptome und kriminalisiert die Konsumenten. Davor kann ich nur warnen. Wenn Sie sich gegen Prostitution wenden, dann besser nicht auf Grundlage kleinbürgerlicher Moralvorstellungen, die den Sex anrüchig werden lassen, sondern viel konsequenter auf Grundlage emanzipatorischer Befindlichkeiten. Die »zunehmende öffentliche Degradierung und Entwürdigung« betrifft eben nicht nur Frauen, sondern jeden von uns. Sie werden nicht nur die schwulen Männer gegen sich aufbringen, wenn Sie Ihre Politik darauf abstellen, auch den Frauen das Recht auf sozialen Vandalismus zukommen zu lassen. Möchten Sie etwas gegen die Entwürdigung der Menschen tun, dann reicht es nicht, die Symptome zu erkennen und zu bekämpfen, sondern Sie müssen das System be- und angreifen!
Es ist nur individuell von Bedeutung, ob ein Mensch zum Sex gezwungen wird. Von politischer Relevanz ist, daß er offensichtlich keine Möglichkeit sieht, sich aus dieser Situation zu befreien! Ob nun materielle Zwänge, Gewalt oder sonstige Not zu Prostitution führen, ist nur insoweit ein politisches Problem, als daß es darum geht, Auswege für Ausstiegswillige zu bieten. Gibt es diese Wege, dann entfällt auch das moralische Urteil. Und nebenbei eine Stütze der patriarchalen Ideologie: die Unterscheidung in guten Sex und schlechten Sex. Nicht nur die Schwulen werden es Ihnen danken, denn mitunter ist es egal, ob sie es mit Unbekannten hinter Büschen treiben oder mit ihrem eingetragenen Lebenspartner bei einem guten Glas Rotwein vor dem Biedermeiersofa.
Auch zum Thema Pornographie schlittern Sie ziemlich unelegant an der Lösung des Problems vorbei: Nicht daß Frauen dort Auslöser männlicher Sexphantasien werden, ist das Problem – gerade für liebe schwule Freunde gilt dieses Vorwurf weniger –, sondern daß diese Sexphantasien im Heterobereich überwiegend androzentrisch sind und eben beim Sex zwischen Mann und Frau weibliche Lustbarkeiten darauf reduziert werden, daß die Frau sich dem Mann als anspruchsloses Sex-Objekt anzubieten hat. Die Entwürdigung der Frauen in einem schlechten Porno besteht nicht darin, daß die Frau zum unglaubwürdigen Objekt männlicher Sexphantasien wird, sondern daß ihr kein subjektives Empfinden bezüglich ihrer Sexualität zugestanden wird.
Sie schaffen es bis heute, den Dingen nicht auf den Grund zu gehen und im Rahmen der Frontenverschärfung neue Gegnerschaften zu inszenieren, die leider einem wirklichen sozialen Fortschritt im Wege stehen. Es ist mir unklar, was Sie eigentlich wollen.
Liebe Chantal, seien Sie mir bitte nicht böse ob meines ehrlichen und polemischen Stils, aber ich habe es endgültig satt, für irgend jemanden das Mädchen zu mimen. Auch nicht für Sie.