Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 20. August 2007, Heft 17

Dumme muß man Dumme nennen

von Frank Schubert

Mr. Tagesthemen a. D. hat einen zweiten Bestsellertitel gelandet: Gauner muß man Gauner nennen. Das ist kräftiger Tobak, klingt nach unabhängiger Wehrhaftigkeit, unerschrockener Moral und ehrenhafter Werteverehrung. Ein innerer Ekel gegen die Verlotterung der Sitten scheint sein moralischer Antrieb zu sein. Man erinnert sich, Autor Wickert hat hat schon einen vielbeachteten, ehrenvoll titulierten Bestseller auf seinem Konto: Der Ehrliche ist immer der Dumme. Welch eine kecke, unerschrockene Aufmüpfigkeit! Hat er etwa an seinem Moderatorenpult mal die Wahrheit gesagt und dafür prompt eins auf die Mütze gekriegt? Nicht, daß uns etwas davon bekannt geworden wäre.
Zugegeben: Mir war der Wickert schon immer nicht unsympathisch. Was er so augenzwinkernd, mundwinkelanhebend, also humordurchwirkt vermittelte, hatte etwas Leichtes, Entspanntes, Mediterranes. Also erwerbe ich das Buch – eine totale Enttäuschung.
Der Band verdient nur einen Ti tel: Dumme muß man Dumme nennen (können). Eigentlich schade!
»Wir haben die Orientierung verloren«, schreibt der Meister nun. Medienkritiker nennen diesen Trick »vereinnahmenden Plural«, bei dem unzutreffend über alle und jegliche geurteilt wird. Doch es sind eben nicht die kleinen Leute, die BenQ gegen die Wand gefahren oder so mal eben die Telekom ruiniert oder ihre Beratung im Edelambiente der brasilianischen Bordelle abgehalten haben. Wer also hat die Orientierung verloren? Warum nennt er sie nicht beim Namen, die Verantwortlichen sind ihm doch alle schon einmal zugeschaltet gewesen.
Das Bemühen einiger Sozialpolitiker um »Verteilungsgerechtigkeit« diffamiert Wickert als »Umverteilungs- und Versorgungswahn«. Er macht sich einfach nicht kundig, daß es um eine Wieder-Zurück-Verteilung geht von dem, was des Arbeiters Werk ist und dessen Gewinn seit Jahren ruchlos und überproportioniert zu den Reichen und Eliten abfließt.
Dann zeigt er sich enttäuscht darüber, daß nun wohl doch nicht die sozialen Klassen allüberall Lebensstilen gewichen seien. Da kommt zur Dummheit noch Unbelesenheit und totale Welt-, ja selbst Deutschlandfremdheit. Kennt er keine Ausgegrenzten, Überflüssigen, Weggeworfenen? Meint er wirklich, der Hartz-IV-Empfänger und der 1-Euro-Jober könnten frei den Lebensstil wählen – mit Leinensakko, Wintergarten am Haus, Beethoven-Konzert am Abend und Sektfrühstück am Morgen?
Im Kapitel Die Vision: humanes Zusammenleben gibt er den Tip, daß sich Europa und die USA wirtschaftlich nur gemeinsam gegen Asien behaupten könnten. Wer will sich denn um jeden Preis behaupten? Wo bleiben die faire Partnerschaft, die gegenseitige Ergänzung und Befruchtung? Haben die Asiaten uns den Kampf angesagt, oder kümmern sie sich nicht vorwiegend und zunehmend besser und effektiver um die Befriedigung der Bedürfnisse ihrer immer weiter wachsenden Bevölkerungen? Wer so haßrednerisch daherschreibt, ist entweder kurzsichtig oder eben: dumm. Das riecht nach politischer Brunnenvergiftung.
Eine geruhsame Nacht!

Ulrich Wickert: Gauner muß man Gauner nennen, Piper Verlag München 2007, 285 Seiten, 19,90 Euro