Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 10. Juli 2007, Heft 14

Rauchfrei, gesund, leistungsorientiert …

von Murat Çakir

Die Parlamentarier können einem leid tun. Kaum ist man als Volksvertreter gewählt, schon muß man sich dem Fraktionszwang, EU-Richtlinien, fiskalpolitischen Sachzwängen oder den unverrückbaren Notwendigkeiten der globalisierten Märkte unterordnen. Für die hehre Absicht, dem eigenen Gewissen verpflichtet zu sein, ist da kaum Platz. Und entschieden wird eh in den Zentren der Macht.
Weil das so ist und die Parlamente mehr und mehr zu Vollzuggsorganen wirtschaftlicher Interessen verkommen, spricht das gemeine Volk, gemein wie es ist, von der Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie und übt sich in Wahlabstinenz. Wie sollen nun die Abgeordneten beweisen, daß sie nicht nur Zählvieh sind, sondern auch im Sinne der »Gesundung des Volkskörpers« agieren können? Da schon der Krümmungsgrad der zu importierenden Bananen in EU-Richtlinien festgeschrieben ist und der politische Rahmen staatlichen Handelns in Kungelrunden der Staats- und Regierungschefs bestimmt wird, bleibt nicht viel übrig.
Doch so ganz stimmt das nicht. Denn die Umformung des neuen Menschen, eines Individuums, das bereitwillig und dankbar jede Arbeit zu jedem Lohn annimmt und gesund sowie leistungsorientiert für die Sicherheit selbst auf Grundrechte und Freiheiten verzichtet, bietet ein weites Feld, auf dem sich Abgeordnete und Beauftragte des Bundes nach Herzenslust austoben können. Es gilt, das Volk von dem Weg, »der zur Verdammnis führt«, fernzuhalten.
Welch eine große Herausforderung! Denn ist der Mensch nicht von Geburt an sündig? Ist er nicht habsüchtig, maßlos gefräßig – besonders bei Fastfood –, träge, wollüstig und von verwerflichen Gedanken beherrscht? Sündigt er nicht gegen die Schöpfung Gottes, in dem er raucht und seine Gesundheit schädigt? Da bedarf es schon väterlicher Strenge, um ihm den rauchfreien Weg zur Glückseligkeit aufzuzeigen.
Darin üben sich unsere Politiker in calvinistischem Eifer. Kampfansagen gegen Fettleibigkeit und Rauchverbote sind »in«. Ja, es offenbart sich: Die Neoliberalen sind die Puritaner der Neuzeit. Sie überschütten die sündigen Massen mit Ge- und Verboten. Jugendschutz, Arbeitsschutz, Nichtraucherschutz sind die Schlagworte. Rauchen schadet nicht nur der Gesundheit, sondern auch der Volkswirtschaft, heißt es. Nur ein gesundes Volk könne wettbewerbsfähig sein – denn es muß sich alles rechnen.
So wie der Vorschlag des EU-Abgeordneten Karl-Heinz Florenz von der CDU. Just am Weltnichtrauchertag schlug er vor, daß die Tabakkonzerne sich an den Folgekosten des Rauchens für die Gesundheit beteiligen sollen. Produkthaftung eben. Bei soviel Engagement hat sicherlich Sabine Bätzing, ihres Zeichens Drogenbeauftragte der Bundesregierung, feuchte Augen bekommen. Schön wäre es, wenn dieser Vorschlag auf andere Produkte ausgeweitet würde. So daß zum Beispiel Rüstungskonzerne für die Verstümmelung von Kindern durch Minen oder von zivilen Bombenopfern der völkerrechtswidrigen Kriege zur Verantwortung gezogen würden. Vorauszahlungen an Sozialkassen und Entwicklungshilfe wären doch prima. Das wäre eine echte Produkthaftung, oder?
Aber bleiben wir realistisch. Rüstungskonzerne sind mächtig und über alles erhaben. Nicht so der deutsche Michel. Unmündig wie er ist, muß er auf den rechten Pfad gebracht werden. Zucht und Ordnung haben noch keinem Menschen geschadet. Und wer fleißig ist, findet auch Arbeit. Wenn nicht, selber schuld. Genau wie die Raucher. Sie schaden sich selbst und der Allgemeinheit. »Rauchen kann tödlich sein« – das weiß jedes Kind, und es steht auf den Zigarettenschachteln. Deshalb müssen sie mit aller Macht davon abgehalte n werden. Punkt.
Die aufmerksamen Leser werden es erraten haben. Ja, der Schreiberling ist selbst ein Raucher. Das ist richtig. Richtig ist auch, daß es unsinnig wäre, über die Gesundheitsschäden des Rauchens diskutieren zu wollen. Darum geht es aber auch gar nicht. Vielmehr geht es darum, daß jeder Mensch selbst in der Lage sein sollte zu beurteilen, was für ihn gut oder schlecht ist, und daß er dafür Sorge trägt, daß andere durch seine Anwesenheit nicht gestört werden. Rauchen oder Nichtrauchen – es ist eine individuelle Entscheidung, deren Nachteile mit einfachen Regeln ausgeglichen werden können. Es geht schlicht um die Frage, auf wie viele Freiheiten bürgerliche Gesellschaften noch verzichten wollen – und es geht um die Normenkonstruktion, die bestimmt, wie der Mensch sein zu habe.
Der spanische Philosoph Heleno Saña spricht davon, daß ein »Rauchverbot nichts mit dem Rauchen zu tun hat, sondern vielmehr ein Ausdruck der neuen Unfreiheit ist«. Er wirft den »spätkapitalistischen Gesellschaften« vor, Unfreiheit und Repression möglich gemacht, ohne den Schein bürgerlicher Freiheiten beseitigt zu haben. Die Debatte um Rauchverbote bezeichnet Saña als einen »Ausdruck des primitiven Lebenshasses« und als einen Manipulationsversuch, um die Menschen von den wahren Problemen abzulenken.