Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 11. Juni 2007, Heft 12

Von Blumenpflückern

von Martin Nicklaus

Beim Waldspaziergang trat das ganze Dilemma zutage. Während ich einen Baum in seiner monumentalen Pracht bewunderte, berechnete mein Begleiter überschlägig die Festmeter Holz und welchen Preis sie wohl derzeit erzielen mögen. Eine ähnliche Konstellation baut Erich Fromm in seinem Buch Haben und Sein auf, stellt dem Blumenbewunderer den als Blumenpflücker maskierten Zerstörer gegenüber.
Natürlich regte sich in mir die Frage, warum mein Gesprächspartner nicht sein Brett vor dem Kopf zu Geld mache. Ich hingegen war in seinen Augen ein Schwärmer, Schöngeist, Träumer, also, um es kurz zu machen, ein weltfremdes Weichei. In sich sah er den Geschäftsreisenden, den Sachenvorantreiber, den Mann von Welt.
Ähnlich die Lage zwischen Ökologen und Ökonomen. Obwohl aus gleichem Wortstamm sprießend, klafft zwischen ihnen ein unüberwindbarer Abgrund. Befassen sich die Ökologen mit der Lehre vom Haushalt und meinen, ein Wald könne nur einmal abgeholzt werden, entgegnen die Ökonomen, als von jeder Lehre entkoppelte Gesetzgeber: »Uns doch egal. Ziehen wir halt weiter zum nächsten Wald.« Recht gibt ihnen die Art, nach der das Bruttoinlandsprodukt berechnet wird. Wald abholzen zählt als Positivereignis, ihn dann wieder aufforsten ebenfalls. Was dabei neben den en passant ausgerotteten Tieren wegfällt: ein Urwald, ihn kann niemand mehr wiedererschaffen, nur die Festmeter Holz.
Dummerweise beherrschen Blumenpflücker die Welt, und infolgedessen sieht sie aus, wie sie aussieht. Aus deren Reihen verkündete die Chefin der Deutschland AG jüngst, wir wären im Umweltschutz führend. Was im Vergleich mit China stimmt, ist in der Sache aber Unsinn. Ein auf Wachstum und Konsum, also stetig steigenden Verbrauch ausgerichteter Industriestaat kann bei Strafe seines Untergangs keinen Umweltschutz betreiben, ganz besonders in einer Epoche des Zertrümmerns, seien es Natur, Sozialstaat, funktionierende Firmen oder fremde Länder. Was publikumsblendend als Umweltschutz aufgeführt wird, stellt sich bald als Industriesubvention heraus oder gerät zur Posse.
Landschaften werden zur Nutzung regenerativer Energie mit Windrädern zugebaut, die bei Sturm oder Flaute oder, ganz originell, wenn sie zuviel Strom liefern würden, wegen Überlastung der Leitungen stillstehen. Sie ersetzen keine konventionellen Kraftwerke, sondern werden, im Gegenteil, durch solche ständig abgesichert. Kein Wunder, wenn Wind- und Kernkraftler gemeinsam marschieren, personifiziert in Fritz Vahrenholt, Windkraftanlagenbauer und Atomstrombefürworter.
Eine weitere Sumpfblüte bescherte uns das Dosenpfand. Das Projekt selbst ist eigentlich gescheitert, da der Mehrweganteil nach Einführung der Verordnung ab- statt zunahm. Was es uns allerdings brachte, war eine hübsche Geschichte. Norma klagte wegen rund sechzig Millionen Euro Aufstellungskosten von Rücknahmeautomaten. Vor Gericht wurde die Klage abgeschmettert und die Verfahrenskosten entsprechend dem Streitwert festgelegt. Daraufhin kam ein Schreiben der Norma-Anwälte, die erklärten, im Eifer des Gefechts wären Fehler unterlaufen, man sei irrtümlich von zwei Automaten pro Filiale ausgegangen, von zu hohen Anschaffungskosten und so weiter. Eigentlich belaufe sich der Streitwert nicht auf sechzig Millionen, sondern auf rund sechstausend Euro.
In seiner Schamlosigkeit kommt das dem Verfahren der Energieerzeuger gleich, die die ihnen vom Staat geschenkten Emissionszertifikate dem Kunden, der diese bereits mit seinen Steuern bezahlt hat, noch einmal auf den Strompreis aufschlagen. Inzwischen haben die Zertifikate jeden Sinn verloren. Der Handel, mit dem ursprünglich die CO2-Emissionen gesenkt werden sollten, brach ein. Dafür stiegen die Emissionen.
Doch damit nicht genug. Die Blumenpflücker selbst haben inzwischen die Ökologie gänzlich über den per Computersimulation herbeiorakelten anthropogenen Treibhauseffekt auf die Senkung des Kohlendioxidausstoßes reduziert, wodurch dieses Thema dem Einfluß engagierter gesellschaftlicher Gruppen entzogen und in die Hände opportunistischer Technokraten gespielt wurde.
Dazu gibt es Alibiquatsch mit Soße: Einige Schulen haben Al Gores Film Eine unbequeme Wahrheit auf DVD erhalten. Weit sinnvoller gewesen wäre die Verteilung von Erich Fromms Buch. Aber die Verbreitung seiner Thesen könnte unter jungen Menschen jene Kulturrevolution auslösen, die zur Problemlösung nötig wäre. So etwas ist natürlich nicht erwünscht.
Sogar Verzicht, einfacher Lebensstil oder auch nur Einschränkungen sind heute des Teufels. Forderungen an die Industrie verbieten sich ohnehin. Im Gegenteil fordert die, die wegen obszöner Preise geschmähten Superenergiespargeräte vom Staat subventionieren zu lassen.
Und: Aus der einst grünen Partei kommt als letztes Röcheln der Rat, die Automarke zu wechseln, und der derzeitige Umweltminister, dessen Äußeres bereits die Verneinung jeglichen ökologischen Gedankens signalisiert, fährt den Wagen mit dem größten Schadstoffausstoß aller Kabinettsmitglieder. Kompensieren will er das durch Reklame für die Dämmstoffindustrie. Er möchte etwas an die Häuser geklebt wissen, das für dreißig Jahre Dämmung bringt und anschließend tausend Jahre Sondermüll ist.
Schließlich sollen Energiesparlampen zur CO2-Einsparung Glühbirnen ersetzen. Dabei stört nicht, daß keine Glühbirne der Welt CO2 produziert – während die Energiesparlampe, nachdem sie zwei Jahre lang ihren Dienst getan hat, anschließend für tausend Jahre Sondermüll ist. CO2 entsteht – wenn überhaupt – beim Stromerzeuger. Noch kränker ist übrigens die Idee, Lebensmittel in Treibstoff zu verwandeln.
Allen Ernstes kommen neuerdings Atommanager nun als Retter daher, wodurch der Verdacht genährt wird, das CO2-Szenario habe sich ein kernkraftgetriebenes Hirn ausgebrütet. Natürlich drängen sie auf Laufzeitenverlängerungen längst amortisierter und in Goldgruben gewandelter Atommeiler. Die schweizerische Weltwoche nannte das »Atomare Kopfkrankheit«.
Zwei Dinge sollten nicht unerwähnt bleiben: In der Elbmarsch erkranken Jahr um Jahr Kinder an Leukämie, verursacht durch radioaktive Strahlung, die mit großer Wahrscheinlichkeit vor zwei Jahrzehnten aus einer Atomforschungsanlage austrat. In diesem Zusammenhang sollte eine zweite, erstaunlich wenig publizierte Information für Nervosität sorgen: Der ganze Atommüll lagert derzeit oberirdisch in Hallen.
Und: Atomkraftwerke benötigen riesige Kühltürme, die massenhaft Wasserdampf in die Atmosphäre schleudern. Jeder, der nur einen blassen Schimmer vom irdischen Treibhauseffekt hat, weiß: Haupttriebkraft ist Wasserdampf.
Und nun? T. C. Boyle resümiert in der Zeit: »Welche Hoffnung gibt es? Keine. Was können wir tun? Sterben.« Demnach sammeln die Blumenpflücker nur noch den Schmuck fürs Grab.