Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 28. Mai 2007, Heft 11

Krieg auf der Zimtinsel

von Jochen Reinert

Sanft lächelnd begrüßt mich eine weiße Buddha-Statue auf dem Bandaranaike-Flughafen von Colombo. Siddharta Buddha entsandte vor 2300 Jahren den indischen Fürstensohn Mahinda auf die Insel, um ihren Bewohnern mit dem Bo-Baum eine der friedfertigsten Religionen der Welt zu bringen. Doch große Teile der buddhistisch-singhalesischen Eliten Sri Lankas halten wenig vom Friedensgebot ihrer Religion. Sie wollen den Konflikt mit den hinduistischen Tamilen partout militärisch lösen.
Kaum hat der Reisende den weißen Buddha passiert, sieht er sich schon behelmten Soldaten mit Maschinenpistolen im Anschlag gegenüber. Sie patrouillieren an diesem Tage gelassen; aber wäre ich am 26. März angekommen, hätte es ganz anders ausgesehen. An diesem Tag griffen die Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) den benachbarten Luftwaffenstützpunkt an – und dies zum ersten Mal mit eigenen Flugzeugen.
Die tamilischen Rebellen halten es freilich auch nicht mit der von Mahatma Gandhi im Hinduismus wiederentdeckten Ahimsa (Gewaltlosigkeit). Die Tamilen bilden mit knapp zwanzig Prozent der rund zwanzig Millionen Landesbewohner die größte nationale Minderheit der Insel. Doch hier geht es mit der Komplexität der srilankischen Angelegenheiten schon los: Etwa dreizehn Prozent von ihnen sind Nachkommen der um 300 u. Z. aus Indien eingewanderten Sri Lanka-Tamilien, sechs Prozent von den britischen Kolonialherren als Plantagenarbeiter ins Land geholte Indien-Tamilen.
Der Konflikt geht wie viele andere bewaffnete Auseinandersetzungen in der Dritten Welt auf die Kolonialzeiten zurück. Die Briten, die den Holländern die Zimtinsel abjagten, bevorzugten nach dem bewährten Prinzip Teile und herrsche die Sri Lanka-Tamilen gegenüber den Singhalesen. Als das Land unabhängig wurde, schränkten die nun regierenden singhalesischen Eliten die Rechte der Tamilen auf mehreren Gebieten (Sprache, Zugang zu Bildung und Verwaltungsposten) drastisch ein. Als Reaktion darauf entstand eine breite tamilische Bewegung für größere Minderheitenrechte, in der sich die 1978 aus militanten Studentengruppen gebildete LTTE an die Spitze setzte. Mit einem brutalen Überfall auf Regierungssoldaten lösten die Befreiungstiger am 23. Juni 1983 ein Massaker an 3000 Tamilen und damit den Bürgerkrieg aus, der seitdem über 70000 Menschen das Leben kostete.
Die LTTE strebt nach einem eigenen Staat im Siedlungsgebiet der Tamilen im Norden und Osten Sri Lankas. Gelegentlich sind aus den Reihen der LTTE allerdings auch pragmatische Überlegungen zu hören. So äußerte der autoritäre LTTE-Chef Velipulai Prabhakaran erstmals 1992, die »Tiger« könnten sich unter Umständen auch eine weitgehende Selbstverwaltung dieser Gebiete vorstellen. Außer der LTTE gibt es indes mehrere andere tamilische Parteien, die sich der martialischen LTTE nicht unterordnen und oft von ihr bekämpft werden.
Als zweite Konfliktpartei fungiert die Regierung in Colombo als maßgebliche Interessenvertreterin der Majoritätsbevölkerung – ganz gleich, welche der beiden singhalesischen Hauptparteien, die konservative Vereinigte Nationalpartei (UNP) oder die bürgerlich-liberale Freiheitspartei (SLFP, häufig im Bündnis mit linken Parteien), gerade am Ruder ist. Wobei die UNP in der Vergangenheit konsequenter nach einer politischen Lösung strebte als die Freiheitspartei, die unter den Druck zweier stramm nationalistischer Gruppierungen geraten ist: der vom buddhistischen Klerus geförderten Mönchspartei (JHU) und der ursprünglich maoistischen Volksbefreiungsfront (JVP).
Nachdem die regionale Vormacht Indien Ende der achtziger Jahre mit einem »dualen« Lösungsversuch – Intervention plus Verhandlungen für ein Friedensabkommen – scheiterte, begannen Ende der neunziger Jahre Friedensgespräche unter norwegischer Vermittlung. Sie führten 2002 zu einem Waffenstillstandsabkommen, das von nordeuropäischen Beobachtern (Sri Lanka Monitoring Mission – SLMM) überwacht wird. Der Tsunami führte die verfeindeten Bevölkerungsgruppen auf lokaler Ebene bei Hilfsaktionen zusammen. Doch nach einer heftigen Kontroverse über Zuständigkeiten bei der Verteilung der Tsunami-Hilfsgelder waren die alten Fronten bald wiederhergestellt. Und mit der Wahl des SLFP-Politikers Mahinda Rajapakse Ende 2005 zum Präsidenten hat sich der Konflikt deutlich verschärft – Rajapakse fuhr schon im Wahlkampf einen strikt singhalesisch-nationalistischen Kurs.
Eine dauerhafte Lösung des Konfliktes kann sich der norwegische Sri-Lanka-Vermittler Erik Solheim nur als großen Kompromiß im Rahmen des Gesamtstaates Sri Lanka vorstellen. Wesentliche Voraussetzung dafür, sagte er mir, sei allerdings der Abbau zweier Haupthindernisse. Eines davon sei die militärische Organisation der Befreiungstiger, sie müßten sich in eine politische Bewegung wandeln. Das andere Hindernis, die gegenseitige Blockierung der beiden singhalesischen Hauptparteien, schien zeitweilig beseitigt: SLFP und UNP einigten sich im Oktober 2006 erstmals auf ein gemeinsames Vorgehen in Hauptfragen des Landes, darunter der Lösung der Tamilenfrage. Das galt als gutes Vorzeichen für die bislang letzten Friedensgespräche Ende Oktober 2006 in Genf, die allerdings wiederum scheiterten.
Inzwischen hat vieles zu weiterer Verschärfung des Konflikts beigetragen. So haben die USA Sri Lanka zu einem Feld des »Anti-Terror-Krieges« erklärt – wobei ihnen die Regierung Rajapakse geradezu begeistert folgt. Zum anderen schlossen sie mit Colombo ein logistisches Abkommen, das nach den Worten von USA-Botschafter Robert Blake den Rahmen für eine »verstärkte Kooperation im Verteidigungssektor« schaffe.
Die EU hat – im Gefolge der USA – die LTTE auf ihre »Liste der terroristischen Organisationen« gesetzt. Was sich sogleich als Bumerang erwies: Die »Tiger« verlangten postwendend den Abzug aller Beobachter aus den nordischen EU-Ländern, was die Überwachung der Waffenruhe erheblich erschwerte. Der EU hat dies nichts gebracht. Da sie, anders als die USA, weiter auf eine friedliche Konfliktlösung drängt, wird sie von den Scharfmachern in Colombo heftiger denn je attackiert. Der deutsche Emissär Jürgen Weerth, der derzeit dem EU-Botschaftergremium in Colombo vorsitzt, mußte nach etlichen Morddrohungen auf eine gepanzerte Limousine umsteigen.
Im Inneren hat die Regierung Rajapakse unlängst eine dramatische Wende vollzogen. Sie zerstörte den Pakt mit der UNP, indem sie über zwanzig konservative Abgeordnete kaufte, sie allesamt zu Ministern machte und damit die weltgrößte Regierung (insgesamt 107 Minister und Vizeminister) etablierte. Zwar hat sie sich damit vom Druck der JVP befreit, kann aber nun ihren kriegerischen Kurs beinahe unangefochten verfolgen – die LTTE reagiert mit brutalen Kommandoaktionen. Seit Jahresanfang haben die Kämpfe bereits 4000 Menschenleben gefordert, über 160000 Landeskinder sind auf der Flucht. Derweil träumen die Generäle in ihrem Hauptquartier an Colombos Marina nach etlichen militärischen Erfolgen im Osten von der kompletten Eroberung der nördlichen »Tiger«-Hochburgen. Beim Abflug schien mir der weiße Buddha auf dem Bandaranaike-Flughafen einen traurigen Zug um den Mund zu haben.