Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 28. Mai 2007, Heft 11

Die Fragen bleiben

von Frank Schubert

Wie Medien Kriege begründen, befördern und mit ›specials‹ beschreiben«, lautete das Thema der 2. Potsdamer Tag der Medienkritik. Es gelang, vier kompetente Wissenschaftler als Referenten zu gewinnen: Gerhard Paul, Flensburg, Karl Prümm, Marburg, Heinz Loquai, Köln, und Sebastian Köhler, Leipzig – einen Historiker, einen Literaturwissenschaftler, einen Militär und einen Medienwissenschaftler.
Gerhard Paul, Historiker, der in jüngster Zeit Beachtung – sowohl viel Anerkennung als auch viel Kritik – für seine Publikationen Bilder des Kriegs – Krieg der Bilder und Der Bilderkrieg – Inszenierungen, Bilder, Perspektiven der Operation »Irakische Freiheit« erhalten hatte, ging in seinem Vortrag Der Irakkrieg als Bilderkrieg tatsächlich dem »als« nach. Denn seine These lautete: Wenn das Publikum Echtzeit erwarte, wenn es visuelle Zeugenschaft einfordere und wenn auch Kriegsberichterstattung unter der Globalisierung »leide«, dann müsse man mit Bildern Krieg führen. Man müsse also eine De-Realisierung des Schlachtfeldes befördern und inszenieren, inszenieren und nochmals inszenieren (Bush auf dem Flugzeugträger: »Wir haben gesiegt – Mission erfüllt!«, Jessica Lynch: Sturz der Saddam-Statue).
Immerhin tröstlich: Diese Inszenierungen sind letztlich geplatzt. Aber es gibt natürlich Tag für Tag neue »Angebote«, und viele davon platzen nie.
Der thematische Aspekt Karl Prümms vom Marburger Institut für Literatur und Medien schien dem Aspekt Gerhard Pauls zumindest teilweise zu widersprechen: Bebilderte und bilderlose Kriege – Überlegungen zur Kriegsdarstellung im aktuellen Fernsehen. Nach einem kurzen Exkurs über den rechtlichen Rahmen, der den »Auftrag des Journalismus in der Bundesrepublik« definiert, schlußfolgerte er, daß für die Medien eigentlich alle Bedingungen gegeben seien, um exakt zu informieren und zu unterrichten. Eigentlich. Aufs Fernsehen bezogen, meinte Prümm, es sei eine Dreifach-Instanz: Beglaubigungsagentur – durch das Aufsaugen aller Medienarten und ihre Bündelung in Multimediagestalt; eine Agentur der gesteigerten sinnlichen Wahrnehmung – das Bild ziehe nun einmal jegliches Publikum an – und Kontrollmedium – Krieg habe im Fernsehen ein bestimmtes »Gesicht«, also »ist« er so. Kritik an den Medien bezeichnete Pümm als das Formulieren berechtigter Ansprüche. Von skeptischen Zuhörern gefragt, ob es denn realistisch sei, von Mediennutzern zu erwarten, daß sie selbst erkennen, unvollkommene Produkte angeboten zu bekommen, plädierte er heftig für eine Medienkompetenz, die unbedingt entwickelt werden müsse. Dazu gehörten eine kritische Bildkompetenz, ein Quellenpluralismus und – was für ein frommer Wunsch! – ein entsprechendes Schulfach, »vielleicht ein Fach Film«.
Sebastian Köhler sprach über Zwei Chroniken eines kurzfristig angekündigten Todesurteils. Anhand zweier Handy-Videos von der Strangulierung Saddam Husseins wies er in klassischer Filmanalyse nach, wie ehrverletzend, respektlos und taktlos mit dem ehemaligen Präsidenten des Iraks, vormaligen USA-Spießgesellen und schließlich ihrem Gefangenen umgegangen worden sei. Köhler verfolgt seit langem das Narrative im Fernsehangebot genauer. In diese Falle fiel ihm in den Videos das ostentative Vorzeigen der Falltür auf, die Botschaft signalisierend: »Seht her, so tief stürzt Euer ehemaliger Diktator!« Am Tage des muslimischen Opferfestes Eid al Adha verstand die schiitisch-kurdische Führungsriege das als »Geschenk für die Iraker« und wußte genau, welche Botschaft sie damit an die Sunniten sandte.
Vor allem das längere der beiden Videos – mit Ton: Saddam wurde bis zum letzten Moment beschimpft und verhöhnt – sei, so Köhler, nach allen Regeln des Storytelling aufgebaut und damit ein wahrer politischer Spaltpilz gewesen: Die Schiiten feierten den abgebildeten Vorgang als »Ende der Ikone der vormaligen Macht«, für die Sunniten bedeutete das selbe Material eine Demütigung, die zwangsläufig neuen Haß gebar und dazu angetan war, den ohnehin laufenden staatlichen Zerfallsprozeß noch zu beschleunigen.
Heinz Loquai, Brigadegeneral a. D., vormals im Planungsstab des Bundesverteidigungsministeriums, bei der NATO und vor und während des Jugoslawienkrieges 1999 deutscher Verbindungsoffizier bei der OSZE in Wien, derzeit Lehrbeauftragter in Köln, referierte über Propaganda für einen Krieg gegen den Iran. Er wies akribisch, Fall für Fall, mit Titelblatt, Headline, Kommentar, Grafik und Zahlenwerk aus der Frankfurter Allgemeinen, der Frankfurter Rundschau, der Zeit, der Süddeutschen, dem Spiegel, dem Stern und anderen nach: Es wird systematisch am Feindbild Iran gearbeitet. Dazu diene vor allem das Ausschmücken des Verhaltens und der Persönlichkeitsmerkmale des auf der »Achse der Bösen« justierten iranischen Präsidenten Ahmadinedschad.
Loquai beschäftigten vor allem Wegbereiter dieser Stimmungsmache, die eine aggressive Mentalität zu erzeugen trachten und dazu bestimmte Ereignisse entsprechend zielstrebig interpretieren. Er verwies mehrmals auf Dr. Hans Röhle, der – publizistisch wirksam – unter anderem eine iranische Rakete bis nach New York »fliegen läßt«. Loquais Belege für die unisono erhobene Forderung nach »Unnachgiebigkeit einschließlich militärischer Schläge gegen den Iran« waren dermaßen unzweideutig, daß die Zuhörer – vor allem die Journalisten unter ihnen – die Frage aufwarfen, wer denn diesen Gleichklang steuere und wer die Stifter der Argumente und Wortmeldungen seien?
Da konnte es nicht ausbleiben, daß in der heftigen Diskussion auch der Name Joachim Hermann vorkam. Mit der Entschlüsselung des erstaunlichen Phänomens, daß es auch ohne einen Sekretär für Agitation und Propaganda an zentraler Stelle »funktioniert«, war die Konferenz natürlich überfordert. Die Fragen bleiben.