Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 2. April 2007, Heft 7

Die Chrislamisten

von Paulus Bünzly

Die Chrislamisten kommen. Nein, es lohnt sich nicht, ihretwegen auszuwandern. Sie holen einen doch immer wieder ein. Und wohin sollte ein Deutscher heutzutage auch auswandern, wenn er nicht gerade das schönst-langweilige Neuseeland oder Australien favorisiert; jetzt wehren sich ja sogar schon die Schweizer gegen uns, Wahnsinn! Wir sind wieder wer. Auch darum müssen wir auf uns achtgeben. Jüngst warnten uns Bundeskriminalamt und Innenminister vor den Islamisten. Solange wir uns vor denen zu erschrecken haben, bleiben in Deutschland die Chrislamisten natürlich weitgehend unbeachtet. Was, das muß der Redlichkeit wegen erwähnt werden, natürlich auch daran liegen mag, daß die keine Bomben werfen und keine Züge oder Wolkenkratzer in die Luft sprengen. Ihre Sprengsätze sind nur verbaler Natur. Die morden nicht. Was ja, zugegeben, ein nicht ganz unbeträchtlicher Unterschied ist. Aber das ist doch kein Grund, sich ihrer nicht zu erwehren – und den Vergleich zwischen Äpfel und Birnen zu scheuen … Helfen wird das nicht, aber schon unserer Selbstachtung wegen sollten wir davon nicht lassen.
Zu den aktivsten Chrislamisten hierzulande zähle ich gegenwärtig den Bayernstolz Markus Söder. Kein Wunder, daß ihn unlängst der niederbayerisch-türkische Kabarettist Django Asül in einer Parodie besonders bedachte. CSU-Generalsekretär Söder, so Asül, sei wie Malaria, «den kriegen Sie nie mehr los«. Söders Kommentar: »Das muß ich aushalten.« Jacob Paul von Gundling übrigens, Hofnarr Friedrich Wilhelms I., stammte auch aus Niederbayern …
Zu propagandistischer Hochform lief Markus Söder auf, als die Debatte über eine Begnadigung des RAF-Terroristen Christian Klar losgetreten wurde. Da konnte einem schon das Blut in den Adern gerinnen, wenn man diesen Funktionär der Christlich-Sozialen Union schrillen hörte. Doch mit im Chor sangen auch solche Demokrateln wie Guido Westerwelle und – man möchte gar nicht zu staunen aufhören! – Wolfgang Thierse.
Wie kam diese Solidarität mit einem wie Söder zustande? Christian Klar hatte etwas getan, was in hiesigen Politikinszenierung geradezu einen GAU in des Wortes eigentlicher Bedeutung darstellt: Er hatte nicht Erscheinungsformen des Kapitalismus kritisiert, er hatte nicht die Einhaltung demokratischer Spielregeln eingefordert, sondern öffentlich eine »Niederlage der Pläne des Kapitalismus« gewünscht und beklagt, Europa werde von einem »imperialen Bündnis« beherrscht, während in Lateinamerika »endlich den Rechten der Massen wieder Geltung gegeben« werde. Zwar bediente sich Klar damit eines etwas antiquierten Vokabulars, und frei von Weltfremdheit war dieses Statement für die Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt auch gerade nicht gewesen; allein schon, wenn wir bedenken, wie beispielsweise zahlreiche Linke in Brasilien nach erster Euphorie heute die Wirtschaftspolitik Lulas beurteilen. Blättchen-Korrespondent Klaus Hart berichtet regelmäßig. Aber daß dieser Politsträfling und vielfache Mörder Christian Klar keine Reue zeigt (die übrigens nach Ansicht vieler Juristen keine Voraussetzung für einen Gnadenerlaß des Bundespräsidenten ist) und – vor allem! – daß er sich sozusagen den Kapitalismus als solchen wegwünscht, sein Ende erhofft, läßt die Söderaner ihre ansonsten so beschworenen christlichen Werte vergessen und sich alttestamentarischer Unversöhnlichkeit befleißigen. Jedenfalls verbal.
Denn wisse: Du bleibst hierzulande ungeschoren, wenn du Politikern öffentlich die Meinung geigst (nicht, daß ich das geringschätzte, dazu habe ich genug Geggel-Erfahrung abrufbar …), du darfst sie verspotten. Und du darfst als Kabarettist auch ungerügt kalauern: »Wie nah Sekret und Sekretär einander sind, zeigt ja die Schleimspur, die Söder hinterlassen hat.« Der (General-)Sekretär zeichnet hinterher noch die Honoraranweisung für den Spaßmacher ab. Und du darfst auch einen Leserbrief verfassen, in dem geschrieben steht: »Herr Steinmeier, bitte kümmern Sie sich um einen Botschafterposten für Herrn Söder, damit er weit genug weg von Bayern ist, aber gleichzeitig nicht zuviel Schaden für uns bringt. Vorschläge: Iran, Nordkorea, Weißrußland oder Mongolei.« (Haben die das wirklich verdient?) Das alles darfst du und vieles anderes auch.
Aber eines darfst du nimmer: das System befragen, es gar in Frage stellen und unkapitalistische Entwicklungen in anderen Teilen der  Welt gutheißen. Nicht einmal, wenn du ein Vierteljahrhundert Knast hinter dir hast und garantiert keine Bomben mehr werfen und keine »Kapitalistenschweine« mehr umbringen wirst. Dann kommen Fundamentalisten über dich, zum Beispiel diese schwarzen Chrislamisten aus dem Hause Söder. Und sie kommen nicht allein, sondern werden von politisch andersfarbigen Bedenkenträgern flankiert.
Und die Sozialisten? Während das Gros der jüngeren Regierungssozialisten in den Ländern, die Florian Silbereisens der PDS, vollauf damit beschäftig, Koalitionen zu retten oder sich auf solche mental vorzubereiten und die Altvorderen der Partei des Demokratischen Sozialismus mehr oder weniger endlich ihre wohlverdiente Ruhe haben möchten, war es wieder einmal Lafontaine, der ihnen in die Suppe spuckte. Da sei ihm sogar verziehen, daß er das in dem peinlichen Dödelblatt SuperIllu tat: »Wenn ein ehemaliges Mitglied der RAF den Kapitalismus kritisiert, ist die Kapitalismuskritik deswegen nicht falsch. Der Papst wolle den Kapitalismus auch abschaffen, sollte man deswegen den Papst einsperren?«
Aber vielleicht könnte der Papst den Söder abschaffen?