Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 16. April 2007, Heft 8

Das ist bei uns so Sitte

von Paul Oswald

Wir kennen das: Von Grünen kommen zuweilen seltsame Signale, und besonders seltsam nehmen die sich dann aus, wenn sie aus einer Gegend herbeischwappen, die vor Zeiten euphorisch Deutschlands grüne Lunge genannt wurde: aus Thüringen. Auch Katrin Göring-Eckardt, Grünen-Politikerin aus dem grünen Thüringen, trug neulich zur Pflege unserer diesbezüglichen Vorurteile kräftig bei. Sie befand nämlich (in der Super Illu, wo sonst …), Oskar Lafontaine sei ein »National-Chauvinist«, und seine Behauptung, dieses (unser) Land werde nicht demokratisch regiert, sei ein »bewußtes Schüren von Politikverdrossenheit«.
Die Bemerkung ist dermaßen unsinnig, daß Lafontaine hoffentlich nicht auf die Idee kommt, die Frau mit einer Verleumdungsklage zu adeln. Andererseits: So ein Verbalangriff wirft natürlich auch Fragen auf, zumal Göring-Eckardt diesbezüglich schon öfter auffällig geworden ist und so zu einer begehrten Interviewpartnerin wurde. Zum Beispiel die, woher bei Katrin Göring-Eckardt der immer wieder zu beobachtende brachiale Linkshaß kommt. Es kann sich doch nicht nur um einen Bildungsschaden handeln. Und am unvollendet gebliebenen Theologie-Studium kann es auch nicht liegen. Denn daran waren »die Kommunisten« ja nun wahrlich nicht schuld. Und Oskar Lafontaine schon gar nicht. Aber für eine Politikerin, der eine schwarz-grüne Koalition vorschwebt, in der – nach eigener Bekundung – die Grünen das Gewissen zu geben hätten, ist so eine Äußerung wohl nicht unangemessen.
Bleibt – jenseits aller Polemik – die partei(en)übergreifende Frage, wer denn nun die Politik(er)verdrossenheit in Deutschland zu verantworten hat. Die Wahl um Wahl wegschmelzenden Wählerzahlen lassen ja nun an Peinlichkeit inzwischen nichts mehr zu wünschen übrig. Da alle Parteien davon betroffen sind, drücken sich alle gleichermaßen um die Klärung des Problems. Ihren Anspruch, das Land zu regieren oder (falls es sich um die Opposition handelt) eines schönen Tages regieren zu dürfen, sieht nicht eine einzige Partei, nicht eine einzige!, durch die Abstinenz der grobgerechnet der Hälfte der Wahlbürger auch nur ansatzweise in Frage gestellt. Das ist ein geradezu sittenwidriges Verhalten! Blasierter kann man sich kaum verhalten.
Zu den Lieblingspassagen in Reden der letzten Zeit gehörten bei Oskar Lafontaine die regelmäßigen Hinweise, daß Regierung und Bundestag gegen den Volkswillen agierten, Beispiel: Afghanistan- und Libanoneinsatz der Bundeswehr. Das zum Beispiel ist das von Lafontaine kritisierte, aber von Katrin Göring-Eckardt eben nicht als empörend empfundene Demokratiedefizit. Das uralte, den Wähler langsam aber sicher ermüdende Spiel: Der Bote ist schuld, Bote Lafontaine ein Nazibeförderer. Irrsinnig.
Es vergeht kein Tag, an dem sich der wahlmüde Bürger in seinem Verhalten bestätigt sieht. Es verwundert, daß bislang noch kein Unternehmer auf die Idee kam, eine Zeitung auf den Markt zu bringen, die sich ausschließlich mit Bestechung und Korruption in Deutschland beschäftigt. Material gäbe es ausreichend – und Leser vermutlich auch. Aber vielleicht mangelt es an Personal, vielleicht sind Journalisten, die für so ein Zeitungsprojekt in Frage kämen, ausgebucht, weil sie Skandalen in Rumänien oder Bulgarien nachgehen.
Gut, ich will nicht übertreiben: Hierzulande sind die Pfeiler preußischdeutscher Hochanständigkeit und Sittlichkeit ja nicht vollends weggefault. (So weit ist es schon gekommen: daß man den Preußen hinterhertrauert …) Und darum sind bei genauerem Hinsehen auch gar nicht so sehr die klassischen Allerweltkriminaldelikte Bestechung und Korruption das Problem im Zusammenhang der Politikverdrossenheit: Das Verhalten von Teilen unserer Eliten vergrault die Bürger.
Nein, es fehlt nicht an Büchern darüber, es fehlt kaum an Zeitungsartikeln, es gibt auch Prozesse und manchmal sogar Verurteilungen. Aber es gibt dennoch keine öffentliche, keine gesamtgesellschaftliche Ächtung der legalen Durchstechereien von Bossen. Ende März beispielsweise ließen uns die Zeitungen wissen, das Gehalt von Bahnchef Mehdorn habe sich im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt: Es habe sich auf 3,18 Millionen Euro erhöht. Allerdings, wurde Mehdorn zitiert, sei nur ein Viertel festes Entgelt. Die restlichen drei Viertel seien vom Erfolg abhängig. Die Bahn sei derzeit erfolgreich. Frau Göring-Eckardt, übernehmen Sie!