Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 5. März 2007, Heft 5

Mekka entgegen

von Uri Avnery, Tel Aviv

Muß ein Indianer das Existenzrecht der Vereinigten Staaten anerkennen? Natürlich stellt niemand diese Frage. Warum? Weil dies lächerlich wäre. Warum wird von der Hamas verlangt, »Israels Existenzrecht anzuerkennen«? Wenn ein Staat einen anderen »anerkennt«, so handelt es sich dabei um eine formelle Bestätigung eines bereits existierenden Faktums. Dies beinhaltet nicht Zustimmung.
Ich bin ein israelischer Patriot, und ich bedarf niemandes Anerkennung des Rechts meines Staates, zu existieren. Mir reicht es vollkommen, wenn jemand bereit ist, mit mir Frieden zu schließen, und zwar auf der Grundlage von gemeinschaftlich ausgehandelten Bedingungen und Grenzziehungen. Ich bin bereit, die Geschichte, Ideologie und Theologie dieser Materie den Theologen, Ideologen und Historikern zu überlassen.
Vielleicht sind wir auch sechzig Jahre nach Staatsgründung und nachdem wir eine Regionalmacht geworden sind, unserer selbst immer noch derart unsicher, daß wir nach der stetigen Bestätigung unseres Existenzrechts von seiten anderer verlangen – und dies ausgerechnet von dem Volk, das wir seit vierzig Jahren unterdrücken. Vielleicht ist es immer noch die Ghetto-Mentalität, die in uns tief eingegraben ist.
Diese Forderung, die jetzt an die palästinensische Einheitsregierung gestellt wird, ist keinesfalls ehrlich gemeint. Im Hintergrund steht eine politische Absicht, genauer genommen zwei Absichten: Zum einen soll die internationale Gemeinschaft davon überzeugt werden, die sich gerade formierende Einheitsregierung nicht anzuerkennen, und zum anderen soll die Weigerung der israelischen Regierung, sich auf Friedensverhandlungen mit dieser Regierung einzulassen, gerechtfertigt werden.
Als ich jung war, sagten die jüdischen Leute in Palästina gerne: »Unsere Geheimwaffe ist die arabische Verweigerung.« Sobald jemand einen Friedensplan vorschlug, konnten wir uns immer auf das »Nein« der arabischen Seite verlassen. Natürlich war die zionistische Führung gegen jeglichen Kompromiß, der den status quo befestigt und damit die zionistischen Expansions- und Siedlungsbewegung gestoppt hätte; dennoch sagten die zionistischen Führer »Ja« und »Wir reichen unsere Hände zum Frieden« – und konnten sich dabei darauf verlassen, daß die Araber den Vorschlag schon torpedieren würden.
Das funktionierte so lange, bis Yassir Arafat die Spielregeln änderte, Israel anerkannte und das Oslo-Abkommen unterschrieb, das die Festlegung der endgültigen Grenze bis spätestens 1999 festlegte.
Bis zum heutigen Tag haben diese Endstatusverhandlungen noch nicht einmal begonnen. Die folgenden israelischen Regierungen verhinderten dies, da sie unter keinen Umständen dazu bereit waren, einer endgültigen Grenzziehung zuzustimmen. Beim Camp-David-Treffen im Jahr 2000 handelte es sich nicht um echte Verhandlungen – Ehud Barak hatte das Treffen ohne jegliche Vorbereitung zusammengerufen, seine Bedingungen den Palästinensern diktiert und den Dialog abgebrochen, als sie diese verweigerten.
Nach dem Tode Arafats, wurde die Weigerung schwieriger und schwieriger. Arafat wurde immer als Terrorist, Lügner und Betrüger dargestellt. Mahmud Abbas aber wurde von jedermann als ehrlicher Mensch anerkannt, der tatsächlich nach Frieden strebe. Dennoch gelang es Ariel Sharon, jegliche Verhandlungen mit ihm zu vermeiden. Die »unilaterale Trennung« diente diesem Zweck. Präsident Bush unterstützte Sharon dabei tatkräftig.
Nun, Sharon wurde krank, Olmert nahm seinen Platz ein. Und dann geschah etwas, was in Jerusalem für große Freude sorgte: Die Palästinenser wählten die Hamas. Wie wunderbar! Immerhin bezeichneten sowohl die USA als auch Europa die Hamas als Terrororganisation! Hamas ist Teil der schiitischen Achse des Bösen! (Sie sind keine Schiiten, aber wen kümmert’s schon!) Hamas erkennt Israel nicht an! Hamas  versucht Mahmud Abbas zu eliminieren, den noblen Mann des Friedens! Selbstverständlich ist es weder notwendig, noch war es sinnvoll, mit einer solchen Bande Verhandlungen über Frieden und Grenzen zu führen.
Tatsächlich boykottieren die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Satelliten die palästinensische Regierung und lassen die palästinensische Bevölkerung hungern. Sie haben drei Bedingungen für die Aufhebung der Blockade gesetzt: a) daß die palästinensische Regierung und die Hamas das Existenzrecht Israels anerkennen, b) daß sie den »Terror« beenden, und c) daß sie die mit der PLO unterzeichneten Verträge erfüllen.
Oberflächlich gesehen, ist das alles sinnvoll; in der Realität hingegen jedoch nicht. Weil all diese Bedingungen komplett einseitig sind:
a) Die Palästinenser müssen Israels Existenzrecht anerkennen – ohne daß jedoch dessen Grenzen definiert sind; die israelische Regierung hingegen muß das Existenzrecht eines palästinensischen Staates nicht anerkennen.
b) Die Palästinenser müssen dem »Terror« ein Ende setzen, aber die israelische Regierung muß ihre militärischen Aktionen in den besetzten Gebieten nicht beenden oder mit dem Siedlungsbau aufhören. Die Roadmap hatte genau dies tatsächlich gefordert, wird aber von jedermann ignoriert, insbesondere von den Amerikanern.
c) Die Palästinenser müssen die Verträge erfüllen, nicht aber die israelische Regierung, die nahezu alle Artikel der Verträge von Oslo gebrochen hat. Unter anderem: die Eröffnung einer »sicheren Passage« zwischen der Westbank und dem Gazastreifen, den Vollzug der dritten »militärischen Rückzugsphase« (Rückzug von palästinensischem Gebiet), die Behandlung der Westbank und des Gazastreifens als einer Entität, und so weiter und so fort.
Hamas hat jüngst seine Unterstützung für die Schaffung eines palästinensischen Staates innerhalb der Grenzen von 1967 verkündet – nicht statt Israels, sondern an Israels Seite. In Jerusalem macht sich Sorge breit. Wenn das so weitergeht, könnte die Welt den Eindruck bekommen, daß sich die Hamas geändert habe, und daraufhin – Gott behüte! – die ökonomischen Sanktionen gegen die Palästinenser aufheben.
Nun ist plötzlich der saudische König ins Spiel eingestiegen und stört Olmerts Pläne zusätzlich. In einem beeindruckenden Akt, im Angesicht der heiligsten Stätte des Islam, beendete der König die blutige Fehde zwischen den palästinensischen Sicherheitsorganen und bereitete die Grundlage für eine palästinensische Einheitsregierung. Hamas verpflichtete sich, die von der PLO unterzeichneten Verträge, einschließlich des Oslo-Abkommens, das ja die gegenseitige Anerkennung des Staates Israel und der PLO als legitime Vertretung des palästinensischen Volkes beinhaltete, zu respektieren.
Der König hat damit die palästinensische Sache aus der Umklammerung des Iran gelöst, an die sich die Hamas aufgrund mangelnder Alternativen gewandt hatte, und hat Hamas damit in den Schoß der sunnitischen Familie zurückgeführt. Da Saudiarabien der Hauptalliierte der USA im arabischen Raum ist, haben es damit zugleich die palästinensische Sache mit Nachdruck auf den Arbeitstisch des Oval Office gebracht.

Aus dem Englischen von Christoph Glanz, von der Redaktion gekürzt