Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 5. Februar 2007, Heft 3

Wieviele Bataillone hat der Papst?

von Wolfgang Sabath

Das soll Stalin 1937 (oder 1941 – der Genosse google äußerst sich dazu höchst uneindeutig) gefragt haben. Doch die Frage hat sich ja, wie wir wissen, ohnehin erledigt. Sollte man meinen. Aber dem ist nicht ganz so. Nicht nur, weil des Papstes »Bataillone« gut beisammen und »gut aufgestellt« sind, wie es im Neudeutsch formuliert werden würde. Nein, auch etliche Truppenteile des längst verblichenen Generalissimus marodieren noch durch die Geschichte, führerlos, aber nicht desorientiert. Glauben sie. Und da ganz ohne Führung und ganz ohne Order keine Truppe funktionieren kann, kann es passieren, daß sie ihre Daseinsberechtigung und ihre Legitimation von der Gegenseite, sozusagen »vom Gegner« (vulgo auch: Klassenfeind) beziehen. Das ist den Kämpfern sehr oft nicht bewußt, funktioniert aber dennoch, und zwar besonders gut dann, wenn sich auch die andere Seite um ihr Renommee und ihre Legitimation sorgen muß. Kurzum: Die, um im Bild zu bleiben, »Bataillone« beider Seiten bedingen einander und brauchen sich. Obwohl sie sich inbrünstig hassen wie siamesische Zwillinge.
Wer wollte, konnte das in den vergangenen Wochen besonders in Berlin sehr gut beobachten. Dort wurde heftig über einen Gedenkstein für Opfer des Stalinismus gestritten. Auf der einen Seite jene, die dem gescheiterten System nicht nur einzelne positive Aspekte abgewinnen können, sondern die »Staatstrauer« zum Inhalt ihres restlichen Lebens erklärt haben, auf der anderen jene, die sich als Opfer begriffen und in den Zeitungen oft – wie sehr zu recht, ahnen sie möglicherweise selbst nicht einmal – »ehemalige Bürgerrechtler« genannt werden. Natürlich sind Grenzen, Abgrenzungen und Zuordnungen häufig fließend, gelegentlich schwammig. Da ist denn unsereiner natürlich nicht unfroh, wenn er auf Konturen trifft, mit denen er seiner Ansicht eine von Lesern nachvollziehbare Struktur geben kann – wenn er also auf Exponenten hinweisen kann, die Klartext reden oder schreiben.
Manchmal reichen ein Satz oder wenige Zeilen, und man weiß, woran man ist. So eine Klartextpassage kann zum Beispiel folgendermaßen lauten: »… Stalinismus war über Jahrzehnte ein erfolgreiches Gesellschaftsmodell, das wesentlich den Faschismus besiegt hat. Leider hatte es auch Schattenseiten, wie sie jede bisherige Gesellschaftsordnung hat, auch die kapitalistische, die den Faschismus hervorgebracht hat und sich heutiger faschistischer Entwicklungen erwehren muss. Prof. Dr. sc. Siegfried Mechler, Ostdeutsches Kuratorium von Verbänden e.V., Präsident«
Ich weiß nicht, wieviele Gebeine noch in Massengräbern gezählt, wieviele hunderte Archive noch geöffnet, wieviele Todeskladden noch durchgesehen, wieviele Bücher noch geschrieben, wieviele Historikerkonferenzen noch veranstaltet, wieviele Artikel noch geschrieben und wieviele Reden noch geredet werden müssen, bis so eine professorale Geschichtsvergessenheit keine Verbreitung mehr findet.
Was für eine subtile Beleidigung der unzählbaren »Volksfeinde«, die zu Lagerstaub wurden, und die Millionen sowjetischen Opfer des Zweiten Weltkrieges, was für eine Beleidigung des Mushiks, der sich von der Wolga bis an die Spree geschleppt hat. Was für eine Beleidigung jener seiner Genossen, die vor Moskau fallen mußten, weil ihr Oberbefehlshaber, der Ismus-Namensgeber, noch vor Kriegsbeginn seinen Generalstab enthauptet und mit dem späteren Feind herzlichst gekungelt hatte; ein Tiefpunkt dieser Kungelei war die gemeinsame Truppenparade von Roter Armee und Wehrmacht in Brest, nachdem sie zuvor vereint Polen niedergekämpft hatten.
Damit kein Mißverständnis entsteht: Es ist mir eigentlich einigermaßen gleichgültig, was für Leserbriefe »Prof. Dr. sc. Siegfried Mechler, Ostdeutsches Kuratorium von Verbänden e.V., Präsident« einer Zeitung zum Druck anbietet. Aber dreierlei ist mir nicht egal (obwohl natürlich kein Kraut dagegen gewachsen ist):
Es ist mir nicht egal, daß dieser geschichtslose »Prof. Dr. sc. S.M., Ostdeutsches Kuratorium von Verbänden e.V., Präsident« kraft dieses Titulariums vielleicht bei weniger Informierten den öffentlichen Eindruck erwecken könnte, auch in meinem Namen zu sprechen (da auch ich, sozusagen, »ostdeutsch« bin); es ist mir ferner nicht egal, daß er offenbar glaubt, seine Ansichten seien in einer »Sozialistischen Tageszeitung« gut aufgehoben; und es ist mir vor allem nicht egal, daß er und seine Gesinnungsfreunde – in Parenthese – »die Bataillone des Papstes« auffüllen.
Ich weiß, Pastor Eppelmann ist kein Katholik und wird demzufolge mit dem Papst nur wenig am Hute haben. Aber in nicht- beziehungsweise antisozialistischer Positionierung funktioniert die Ökumene seit jeher ausgezeichnet. So denn nimmt es natürlich nicht wunder, daß Zeitungen wie der respektable Tagesspiegel aus Berlin im hauptstädtischen Stalinismus-Streit auch den CDU-Bundestagsabgeordneten Rainer Eppelmann zu Worte hatte kommen lassen. Und siehe da: Eppelmann und Mechler ergänzen sich vortrefflich. Beide ertragen sie nicht (oder nur widerwillig) historische Wahrheiten.
Rainer Eppelmann listet in seiner Tagesspiegel-Kolumne in Kurzfassung alle Berliner Links-Sünden der jüngsten Zeit auf: eine Rede der ehemaligen PDS-Stadträtin Nehring-Venus, in der sie gewagt hatte anzumerken, die Vereinigung von KPD und SPD sei nicht nur unter Zwang vor sich gegangen; die sogenannte »Flierl-Affäre« (der hatte es als Kultursenator auf einer öffentlichen Veranstaltung, zu der auch ehemalige Staatsicherheitsoffiziere gekommen waren, versäumt, sich von deren Äußerungen zu distanzieren); die Äußerung Hans Modrows, zur Spaltung Deutschlands hätten schließlich zwei gehört; eine Traueranzeige für Markus Wolf … und, und.
Wie ernst ist eigentlich heute ein Politiker zu nehmen, der es nicht erträgt zu hören, es habe einst sowohl SPD- als auch KPD-Mitglieder gegeben, denen (unabhängig von den Absichten der Einfädler, von denen sie vermutlich gar nichts wußten …) der Parteienzusammenschluß ein Herzensbedürfnis war? Was ist von einem Politiker zu halten, der auffährt, wenn jemand schreibt, die Teilung Deutschlands sei keine einseitige Angelegenheit gewesen? Mit was für einem Geschichtsverständnis muß ein Politik-Theologe geschlagen sein, dem heute offenbar das Begriffspaar »Thron und Altar« nichts mehr sagt und der einem Manne aufs Grab speit, dessen atheistisch gesinnte Familie sich zu Zeiten, als auf deutschen Koppelschlössern »Gott mit uns« stand, christlicher verhalten haben dürfte als die ganze vereinigte deutsche evangelische Pfarrerschaft zusammengenommen? (Kommen Sie mir jetzt nur nicht mit Niemöller!) Nein, für früher und für »damals« kann Eppelmann natürlich nichts. Aber für heute. Übrigens: Schöne Grüße von Herrn Mechler.