Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 19. Februar 2007, Heft 4

Schmidteinander

von Wolfgang Sabath

Als jüngst die deutschen Hallenhandballer ein Endspiel gegen die polnische Mannschaft – nicht »gegen Polen« – spielten und die Reporter, die schon tagelang ein Wunder herbeigeschrien hatten, sich nun überschrien, tauchte in der Halle ein großes, wegen der Plötzlichkeit seines Auftauchens von der Fernsehregie offenbar nicht mehr wegzudrückendes Transparent auf: Liebe Polen, ihr könnt unsere Autos haben, den Titel aber nicht.
Auch dem Reporter fiel auf die Schnelle nichts ein, und Distanzierendes schon gar nicht. Doch seien wir nicht ungerecht oder voreilig: Vielleicht fand er die Sache dermaßen peinlich, daß er hoffte, die Zuschauer zu Hause hätten das Transparent nicht wahrgenommen. Allerdings: Im unappetitlichsten Falle aber fand er nichts dabei … Doch wenn er sich von dem Handballwunder erholt und wieder Muße hat, könnte er jetzt mal ins Internet schauen: Laut Tagesspiegel aus Berlin wird in Internet-Foren seitdem »über det ›geile Plakat‹ aus der Kölnarena« geschwärmt. Harald Schmidt läßt grüßen.
Nein, natürlich ist der kein »Polenfeind«, »die Polen« sind ihm einfach egal – sie interessieren ihn nicht wirklich, um mal diese Neusprachfloskel einzuschieben. Ihn interessieren Quote und Gage. Und wenn die eben mit Polenwitzen zu machen waren – bitte sehr! Und die Transparentler sind vermutlich auch keine Polenfeinde (es ist nicht ausgeschlossen, daß sie und Schmidt gar keine Polen kennen) – sie sind nur Dummköpfe. Das unterscheidet sie von Schmidt. Stammtisch allerdings sind beide – jeder sein eigener.
Im März 1998 hatte das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt geschrieben: »Vor zwei Jahren galten Polenwitze unter gesitteten Menschen als chauvinistisch und tabu. Inzwischen weiß jeder gutbürgerliche Oberintellektuelle, daß die Polen noch nicht im All waren, denn: ›Der große Wagen ist noch da.‹ Polenwitze sind gesellschaftsfähig. Und das ist das Verdienst, wenn man es denn so nennen will, eines Mannes: des Volkserziehers Harald Schmidt. … Dirty Harry, wie er sich gerne nennen läßt, hat nämlich geschafft, was niemand zu hoffen wagte: daß Feministinnen über Frauenwitze lachen. So weit ist es also gekommen. Schmidt, das Luder, seift sie alle ein. Dafür (unter anderem) hat er zwei Grimme-Preise bekommen und von der Wiesbadener Gesellschaft für deutsche Sprache den ›Medienpreis für Sprachkultur‹. Und das heißt: Frauenwitze sind jetzt Hochkultur. Polenwitze natürlich auch. Darauf kann Schmidt sich etwas einbilden, und das tut er auch.« Übrigens: Das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt gibt es schon längst nicht mehr, Harald Schmidt dafür mehr denn je …
Nein, in den letzten Jahren hat Schmidt keine Polenwitze mehr gemacht. Mußte er auch nicht – mehr …
Seit in Polen die Nationalkonservativen Präsident und Regierung stellen, heißt es in der deutschen Presse, die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen seien gestört, schlecht, kompliziert, reparaturbedürftig – wie auch immer: jedenfalls nicht gut. Beim Lesen derartiger Episteln reibt sich der langjährig Poleninteressierte – und derer gibt es in Deutschland Ost und Deutschland West zuhauf, auch wenn die gemeine Altbundesbürgerschaft natürlich auch in Sachen »deutsch-polnischer Freundschaft« Patentschutz beansprucht – die Augen.
Abgesehen davon, daß – wenn wir die Wahlbeteiligung jener Wahl mit in Betracht ziehen, der die Gebrüder Kaczynski ihren Wahlsieg verdanken – nur gut zwanzig Prozent der polnischen Bevölkerung für die jetzige Regierung votierte: Was, bitte sehr, geht es mich an, wenn sich die Regierungen in Warschau und Berlin kabbeln? Heiße ich etwa Angela Merkel? Heiße ich Lech Kaczynski? Bin ich für Frau Steinbach zuständig? Und ist Freund Piotr aus Wetlina im Bieszczady-Gebirge für Polens Außenministerin Fotyga, Erfinderin einer »Polnischen Minderheit in Deutschland«, verantwortlich? Eine Reihung dieser Art ist nahezu unendlich verlängerbar.
Offenbar haben wir es mit einer Art Wahrnehmungsdefizit von Regierenden zu tun. Das ist nichts Neues, aber es ist diesmal besonders ärgerlich. Weil nämlich das Knüpfen gutnachbarlicher Ostwärtsbeziehungen besonders schwer war. Wir alle wissen, warum. Das lassen wir uns weder von deutschen Schmidtianern oder von Kölner Transparente-Lümmeln noch von besorgter deutscher Bundesregierung kaputtmachen.
Neulich las ich in einer Zeitung, als es – wieder einmal – um die derzeit holpernden Regierungsbeziehungen ging, Polen sei so etwas wie unser Frankreich im Osten. Natürlich wäre es sträflich – und ungerecht dazu –, die Überwindung deutsch-französischer »Erbfeindschaft« kleinzureden. Aber obwohl ich hier kein Ranking veranstalten will: In Polen gab es während der deutschen Besetzung keine polnische Kollaborationsregierung – ich wollte nur mal auf einen Unterschied aufmerksam gemacht haben … Um so stärker ist das zu würdigen, was in den Jahrzehnten nach dem Krieg an Versöhnung und Aussöhnung und gutnachbarlicher Zusammenarbeit geschehen ist. Und zwar unabhängig davon, welche Regierung wann regierte.
Zu den Wahrnehmungsdefiziten der deutschen Regierung und der staatsnahen Presse (einschließlich des Fernsehens) gehört auch, daß uns zwar (weil ja die Beziehungen nun als gestört dargestellt werden müssen …) regelmäßig absonderliche Ansichten über- und untergeordneter Regierungsverantwortlicher präsentiert oder wir mit Zitaten aus Nasz Dziennik oder anderen stockkonservativen Blättern versorgt werden. Doch daß die schärfsten Kritiker der Kaczynskis & Co. in polnischen Presseorganen publizieren, bleibt hierzulande irgendwie sehr undeutlich. Allerdings: Wenn man hört, wie deutsche Nachrichtensprecher in Rundfunk und Fernsehen auch bald siebzig Jahre nach friedlicher Nachbarschaft immer noch nicht gelernt haben (einfach, weil sie es immer noch nicht wichtig finden …), polnische Familien- oder Städtenamen einwandfrei auszusprechen, kann man vielleicht daraus auch schlußfolgern, daß in den Redaktionen kaum mit Originalquellen gearbeitet wird.
Mit den deutsch-polnischen Beziehungen ist es angeblich nicht gut bestellt? Ich wüßte nicht, warum. Und ich kenne noch viele andere Leute in diesem unseren Land, die sich durch das derzeitige deutsche Schmidteinander nicht beirren lassen.