Des Blättchens 10. Jahrgang (X), Berlin, 19. Februar 2007, Heft 4

Briefe an Arthur (5)

von Thomas Rüger

Lieber Arthur, machen wir doch ein kleines Gedankenexperiment. Ein Alien, Fred vom Jupiter oder Alessandra vom Uranus, besuchen den Planeten Erde. Die Nacht wird in einem Hotel irgendwo in Deutschland verbracht. An der Rezeption fragt man nach den mitgebrachten Gepäckstücken – nicht vorhanden. Wenigstens ein Kulturbeutel? Auch der nicht.
»Kulturbeutel« klingt natürlich interessant; mit Hilfe intergalaktischer Fähigkeiten läßt sich dessen Inhalte und Bewandtnis erklären. Verwundert fragt sich unser Alien: Warum haben die Deutschen, das selbsternannte Volk der Dichter und Denker, in einem Behältnis, das sich Kulturbeutel nennt, keine Bücher oder Literaturkassetten, sondern Zahnbürste, Seife und Kamm? Macht sich Kultur am Grad der Zahnreinigung, des weggelaugten Achselschweißes oder des vorschriftsmäßig gescheitelten Kopfhaares fest? Haben die Menschen in Deutschland hygienische Zwangsneurosen, die sie mit falsch deklarierten Verpackungen unerkannt sein lassen wollen? Beruht die Fama vom Land der Dichter und Denker gar auf kulturell aufgepeppten Hygieneutensilien? Was hatte wohl Goethe auf seinen ausgedehnten Reisen in seinem Kulturbeutel verstaut?
Es drängt sich die Befürchtung auf, daß unser außerirdischer Besucher enttäuscht feststellen muß, daß in deuts chen Landen Sauberkeit und Reinheit zu den höchsten Kulturtugenden zählen. Gilt das Motto: Lieber filigran gefeilte Fingernägel als filigran gefeilte Poesie? Geht ein Land, dessen Bewohner öfter zum Deostift als zum Kulturgut Buch greifen, nicht zwangsläufig geistig vor die Hunde?
Wir müssen die Antworten auf diese selbst gestellten Fragen leider schuldig bleiben. Um den Kulturbeutel inhaltlich mehr seinem Namen entsprechend auszustatten, erlaube ich mir, lieber Arthur, abschließend noch eine kleine Anregung an die Buchverlage: Veröffentlicht Bücher in Größe einer Seife und laßt sie entsprechend einpacken! Besser kann man Deutschland doch nicht einseifen.
Herzliche Grüße, Dein Konrad Knurrhahn