Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 11. Dezember 2006, Heft 25

Briefe an Arthur (4)

von Thomas Rüger

Lieber Arthur, nicht nur zu Wahlkampfzeiten versuchen Politiker jeglicher Couleur, ihr eigenes Parteiprogramm und die hier propagierten Ziele als notwendig, ja alternativlos darzustellen. Der früheren britischen Premierministerin Maggie Thatcher wird das TINA-Prinzip zugeschrieben.
Das Kürzel steht für: »There Is No Alternative!« In Deutschlands unseligster Epoche hieß es einst: »Führer befiehl – wir folgen Dir!« Der Vorteil der Demokratie ist es nun unbestritten, daß wir wählen dürfen, welchem Führer wir folgen wollen.
Natürlich tragen die Massenmedien, gleich ob sie uns privat oder öffentlich-rechtlich mit ihrer Einheitssoße infiltrieren, erheblich dazu bei, daß die Fähigkeit zum kritischen Hinterfragen immer mehr verkümmert. Ein simples Beispiel gefällig: Zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit bedarf es – einhelliges Credo – eines höheren Wirtschaftswachstums. Die Parteien streiten sich leidlich – manchmal für das Publikum auch unleidlich – darum, wie die Wirtschaft angekurbelt werden kann. Jedoch wird die gebetsmühlenhaft verkündete Ausgangsprämisse – die Notwendigkeit von Wirtschaftswachstum – so gut wie nie bestritten. Sei es die vermeintliche Bildungskatastrophe oder die Neugestaltung des Gesundheitswesens: Es werden keine kreativen Ideenschmiede gesucht, sondern möglichst einfache und griffige Formeln, die dem apathischen Wahlvolk als TINA-Lösungen präsentiert werden können.
Das Wort »Basta!« bekam Hochkonjunktur in der Schröder-Ära, wenn dem damaligen Bundeskanzler eine Diskussion zu langwierig erschien. Die unkonventionellen Querdenker dürfen sich lediglich auflagenschwache Postillen als intellektuellen Spielplatz auswählen.
Doch wir brauchen, lieber Arthur, unsere moralinsauren Zeigefinger nicht nur auf »die da oben« richten. Auch wir haben im privaten Alltag zigfach die Chance, uns nach Alternativen umzusehen.
Und wir reden uns, es lebe die Bequemlichkeit, bis zur geistigen Bewußtlosigkeit ein, daß es solche nicht gäbe.
Vor etlichen Jahren wurde in der »Alternativ(!)-Bewegung« ein Spruch von Kurt Marti kolportiert: »Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin, und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge.«
Sollen wir gemeinsam nachschauen?
Nicht irgendwann, nicht morgen, sondern heute noch?!
Es grüßt Dich vielfältigst Dein Konrad Knurrhahn

PS. Für den gehobenen Bildungsbürger und Wissensquizshow-gestählten TV-Konsumenten darf natürlich auch der Hinweis auf die lateinische Formulierung »Tertium non datur« nicht fehlen. Kämpfen wir gegen die Denkfaulheit in allen Gewanden und setzen uns für eine dritte, vierte oder fünfte Lösung ein!