Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 30. Oktober 2006, Heft 22

Mittagessen in Damaskus

von Uri Avnery, Tel Aviv

Während einer Taxifahrt hatte ich einmal ein Streitgespräch mit dem Fahrer – dazu muß man wissen, daß Taxifahrer in Israel für ihre extrem rechten Ansichten bekannt sind. Ich versuchte vergeblich, ihn davon zu überzeugen, daß Frieden mit den Arabern nur wünschenswert sei. In unserm Land, das während der letzten hundert Jahre keinen einzigen Tag Frieden erlebt hat, wirkt Frieden manchmal wie Science Fiction.
Plötzlich hatte ich eine Eingebung. »Wenn wir Frieden haben werden«, sagte ich, »könnten Sie am Morgen Ihr Taxi nehmen und nach Damaskus fahren, zu Mittag echten Hummus essen und abends wieder zu Hause sein.« Er jauchzte bei diesem Gedanken: »Wow! Wenn dies geschieht, dann nehme ich Sie umsonst mit!« »Und ich werde Sie zum Mittagessen einladen!« antwortete ich. Er träumte weiter. »Wenn ich mit meinem Wagen nach Damaskus fahren kann, dann kann ich ja von dort in einem weiter durch nach Paris fahren!«
Bashar Al-Assad hat es wieder getan. Es ist ihm gelungen, die israelische Regierung zu verwirren. Solange er die fast rituelle Drohung ausspricht, den Golan mit Gewalt zu befreien, regt sich niemand auf. Es bestätigt nur, was eigentlich jeder hören will: Es gibt mit Syrien keine Möglichkeit des Friedens. Früher oder später werden wir mit Syrien einen Krieg haben.
Wozu ist das gut? Ganz einfach: Frieden mit Syrien bedeutet, die Golanhöhen zurückgeben – der Definition nach syrisches Territorium. Kein Frieden – keine Notwendigkeit, sie zurückzugeben.
Aber wenn Bashar damit beginnt, über Frieden zu reden, dann beunruhigt uns dies. Das ist wie eine ernstzunehmende Verschwörung. Das kann – Gott bewahre! – eine Situation schaffen, die uns zwingt, das Gebiet zurückzugeben. Deshalb sollten wir nicht einmal darüber reden. Diese Nachricht muß in den Zeitungen in irgendeiner Ecke versteckt werden und darf im Fernsehen als nur »eine weitere Rede Assads« auftauchen. Die Regierung weist den Gedanken von Anfang an zurück; man könne über ihn nicht einmal diskutieren, bis …
Bis was? Bis Assad aufhört, die Hisbollah zu unterstützen. Bis Syrien die Vertreter von Hamas und der anderen palästinensischen Organisationen hinauswirft. Bis ein Regimewechsel in Syrien stattfindet. Bis eine Demokratie im westlichen Stil errichtet wird. Kurz, bis Assad sich als Mitglied der zionistischen Organisation eintragen läßt …
Als Yasser Arafat Ende der fünfziger Jahre die unabhängige palästinensische Nationalbewegung gründete, verlangten die Syrer, als Protektoren des palästinensischen Volkes anerkannt zu werden. Als Arafat dies ablehnte, warfen die Syrer die palästinensische Führung ins Gefängnis.
Natürlich fanden alle Feinde Arafats Zuflucht in Damaskus, und das ist der ursprüngliche Grund für die Präsenz einiger Führer von Hamas und anderer Organisationen dort. Sie waren eher eine Bedrohung für die PLO als für Israel.
Im Krieg von 1948 war die syrische Armee die einzige arabische Armee, die nicht besiegt wurde. Sie besetzte weiter ein Stück israelisches Gebiet. Entlang der Grenze fanden viele Zwischenfälle statt – meistens von einem Offizier mit Namen Ariel Sharon initiiert. Am Ende besetzte die israelische Armee im Sechs-Tage-Krieg die Golanhöhen, für dessen Ausbruch die Syrer einige Verantwortung trugen.
Seitdem haben sich alle Beziehungen zwischen Israel und Syrien auf dieses besetzte Gebiet konzentriert. Seine Rückgabe ist das oberste syrische Ziel. Israel hat inzwischen das israelische Gesetz dort eingeführt – das, im Gegensatz zur verbreiteten Ansicht weniger als Annexion bedeutet. Hafez al-Assad eroberte den Golan im Krieg von 1973 zwar kurzzeitig zurück, wurde aber schließlich bis in die Nähe von Damaskus zurückgetrieben. Seitdem haben die Syrer meist über die Hisbollah versucht, Israel zu belästigen.
Es gab einmal die Idee einer »östlichen Front« – eines koordinierten Angriffs von Jordanien, Syrien und dem Irak – die in Israel Alpträume verursachte. Die Prophezeiung des Jeremia (1,14): »Von Norden wird das Unheil losbrechen über alle, die im Lande wohnen« hallte durch die Kriegsräume des Oberen Armeekommandos. Seitdem haben wir Frieden mit Jordanien gemacht. Der Irak wurde von den Amerikanern mit der begeisterten Unterstützung Israels und seiner amerikanischen Lobby in tausend Stücke geschlagen. Aber die Syrer werden noch immer als Bedrohung empfunden, weil sie mit dem Iran verbündet und mit der Hisbollah verknüpft sind.
Warum machen wir dann keinen Frieden mit Syrien? Momentan gibt es dafür zwei Gründe: einen innen- und einen außenpolitischen. Der innenpolitische Grund ist die Präsenz von zwanzigtausend Siedlern auf den Golanhöhen, die viel populärer sind als die Siedler in der Westbank. Es sind keine religiösen Fanatiker, und ihre Siedlungen wurden unter der Schirmherrschaft der Arbeitspartei errichtet. Keine israelische Regierung hatte den Mut, sie in Frage zu stellen.
Dies ist der wahre Grund für das Scheitern aller Versuche, mit Syrien zu verhandeln. Yitzhak Rabin dachte darüber nach und machte einen Rückzieher. Er vertrat den Standpunkt, man solle zunächst das palästinensische Problem lösen. Ehud Barak wäre es fast gelungen, ein Abkommen mit Syrien zu schließen; auch er zog sich im letzten Augenblick zurück. Die einzige damals noch offene Frage war fast lächerlich: Sollten die Syrer das Ufer des Sees Genezareth erreichen – so wie es vor dem Sechs-Tage-Krieg war – oder in einer Entfernung von ein paar dutzend Metern stehen bleiben – so wie die Grenze zwischen den Briten und den Franzosen, die einst über Palästina beziehungsweise Syrien herrschten, festgelegt worden war?
Lohnt es sich, dafür das Leben von tausenden Israelis und Syrern aufs Spiel zu setzen, die bei einem weiteren Krieg sterben würden? Bis Israel eine Regierung hat, die bereit wäre, diese Frage zu beantworten und den Siedlern mutig gegenüberzutreten, wird es kein Abkommen mit Syrien geben.
Der zweite – der außenpolitische – Grund, einen Frieden mit Syrien zurückzuweisen, liegt bei den USA. Syrien gehört zu George Bushs »Achse des Bösen«. Dem amerikanischen Präsidenten sind die längerfristigen Interessen Israels völlig gleichgültig. Für ihn ist es nur wichtig, irgendeine Art Sieg im Nahen Osten zu erlangen: Die Zerstörung des syrischen Regimes (»Ein Sieg für die Demokratie«) würde ihn für das Fiasko im Irak entschädigen.
Kürzlich erklärte Olmert: »Solange wie ich Ministerpräsident bin, werden wir die Golanhöhen auf ewig nicht aufgeben!« Was heißt das? Entweder glaubt Olmert, daß seine Amtszeit mit Gottes Amtszeit übereinstimmt – oder: In Olmerts Welt dauert die Ewigkeit bestenfalls vier Jahre. Auf jeden Fall müssen mein Taxifahrer und ich bis dahin auf das Mittagessen in Damaskus warten.

Aus dem Englischen von Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, von der Redaktion gekürzt.