Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 16. Oktober 2006, Heft 21

Alfred Kantorowicz

von Wolfgang Sabath

Auf Seite 69 der Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums aus dem Jahre 1938 findet sich der Eintrag »Kantorowicz, Alfred: Sämtliche Schriften«. Diese Ehre mag sich der Berliner Autor vor allem durch seine Bücher Tschapajew: das Bataillon der 21 Nationen und sein Spanisches Tagebuch verdient haben. In der bemerkenswerten Reihe Das verbrannte Buch veröffentlichte nun unlängst der Rostocker BS-Verlag Reden und Schriften Kantorowiczs aus der Zeit seiner Emigration in Frankreich. Der Titel: In unserem Lager ist Deutschland.
Kantorowicz, 1946 nach Berlin zurückgekehrt und Mitbegründer der Zeitschrift Ost und West (sie erschien bis 1949, 1979 gab der Athenäum-Verlag Königstein einen vollständigen Reprint heraus, der mit etwas Glück bei www.ZVAB.com aufzufinden ist), verließ 1957 die DDR; seine harschen und heftigen Urteile über seine Zeit in Berlin und über seinerzeitige Genossen, Mitkämpfer und Weggefährten finden sich insbesondere in seinem Deutschen Tagebuch I und II (München 1959 und 1961) – ein verbitterter, ein enttäuschter und auch wohl ein gekränkter Mann, der nicht zuletzt auch an seinen Eifersüchteleien gelitten haben dürfte. Die Tagebücher jedenfalls vermitteln diesen Eindruck. Die Funktionsschriftsteller haben sich »revanchiert«: Im umfänglichen zweibändigen Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller (VEB Bibliographisches Institut Leipzig 1972) war selbstredend kein Zeile frei mehr für den Abtrünnigen. (Der dürfte das allerdings auch nicht anders erwartet haben.)
Daß Alfred Kantorowicz schon vor dieser Berliner Nachkriegszeit zu Kompromißlosigkeiten und zum Teil sehr zugespitzten Urteilen neigte, belegen die jetzt publizierten Texte aus Frankreich; dafür mag folgende Passage stehen:
»Auch unter der sehr mannigfaltig zusammengesetzten deutschen Emigration von 1933 gab es Elemente, die an den Champs-Elysées und an der Riviera nicht gerade den besten Eindruck machten. Wir hatten und haben mit diesen nicht das Mindeste zu schaffen; die Tatsache, daß sie Deutschland verließen, legitimiert sie in unseren Augen nicht. Wir haben uns so eindeutig von Ihnen abgegrenzt, daß sogar der Völkische Beobachter unsere Abgrenzung mit Behagen nachgedruckt hat.« (Offener Brief an Herrn Chefredakteur Dr. Hellbrück, »Saarbrücker Zeitung«, Paris, den 28. Oktober 1934)
Ob Kantorowicz auch noch später, nach dem Krieg, zu dieser radikalen und ideologiebehafteten Haltung in dieser Angelegenheit, zu diesem Ausfluß reiner Lehre stand, habe ich nicht überprüft.
Wie auch immer: Die jetzt vorliegenden Reden, Aufsätze und Zeitungsartikel Alfred Kantorowiczs, den seine Freunde Kanto nannten, sind aufschlußreiche Dokumente, die in Sprache und Diktion zuweilen irritieren – aber so haben sie eben »damals« geredet, argumentiert und geschrieben, die Genossen. Wir Heutigen sind natürlich viel schlauer.

Alfred Kantorowicz: In unserem Lager ist Deutschland, Reden und Aufsätze, Neue herausgegeben von Markus Berg, BS-Verlag Rostock 2006, 70 Seiten 9,40 Euro