Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 18. September 2006, Heft 19

Naive Zusammenhänge

von Ove Lieh

Der jüngste Fleischskandal nahm seinen Anfang in Bayern. Das überrascht mich ein wenig, hieß es doch bisher immer, das faule Fleisch komme aus dem Osten. Aber vielleicht ist das auch alles viel komplizierter und meiner Logik nicht zugänglich? Vor etlichen Jahren hatte ich damit schon einmal ein Problem.
In einer Diskussionsrunde erklärte ein junger Mann die segensreichen Wirkungen der Konkurrenz am Beispiel des Fleischers, der wegen der Konkurrenz immer besseres Fleisch immer billiger und immer freundlicher an seine Kunden abgeben wird. Mir lag damals der Einwand auf der Zunge, daß er doch vielleicht auch ein klein wenig den Finger mit auf die Waage legen könnte. Natürlich so, daß es keiner merkt. Dann arbeitet er auf Dauer auch kostengünstiger als die Konkurrenz.
Auf die Möglichkeit, das Betriebsergebnis zu retten, indem man verdorbene Ware nicht wegwirft, sondern das Etikett ändert, bin ich damals nicht gekommen. Obwohl man das Prinzip eigentlich aus der Politik kennt. Da bekommen schon leicht angegammelte Reformen auch einfach einen neuen Stempel und gehen fröhlich wieder über die Theke.
Und die Erklärungen stinken auch schon ein wenig. Da erklärt zum Beispiel die Bundesgesundheitsministerin, daß ihre Reform dazu führen wird, daß jeder, unabhängig von seiner Geldbörse die medizinische Versorgung erhalten wird, die er braucht und zwar auf der Höhe des medizinischen Fortschritts. Sie weiß natürlich, daß das nicht stimmt, wie jeder leicht überprüfen kann, indem er zum Beispiel seinen Zahnarzt mal fragt, was in den vergangenen Jahren alles aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen rausgestrichen wurde und welche Kassenversorgungen dem Stand des medizinischen Fortschritts entsprechen. Und welche Versorgung in diesem Bereich unabhängig vom Geldbeutel sein soll, dürfte niemand wissen. Darum geht es Frau Schmidt ja auch nicht, sondern um ein neues Etikett für eine faule Sache. Die jetzt geplante Gesetzgebung gegen Etikettenschwindel sollte solche Sachverhalte erfassen, da würde mancher vorsichtiger, zumal man in Zukunft die Namen der schwarzen Schafe nennen darf.
Allerdings weiß ich nicht, ob dieser Zusammenhang wirklich existiert – weil in der Politik anders gedacht wird als im wirklichen Leben. Ein Beispiel lieferte jüngst einer der meistunterschätzten Politiker der CDU, Eckhard von Klaeden, der Ihnen vielleicht noch als übereifriger »Fischerjäger« in Erinnerung ist. Wenn nicht, dann lassen Sie ihn auch weiter draußen, er dient hier nur als Illustration. Dieser Herr also, der nicht irgendwer ist, sondern angeblich ein außenpolitischer Experte der CDU, antwortet auf folgende, allerdings zuweilen auch etwas seltsame Fragen eines Journalisten im Zusammenhang mit den Anschlägen in der Türkei: Frage: Manche Kurden befürchten, durch eine Eingliederung der Türkei in die EU erledige sich die Frage eines autonomen Kurdenstaates. Sind die Anschläge ein Signal gegen Europa? Antwort: Diesen Zusammenhang sehe ich nicht. Es ist wohl das Hauptziel, die Einnahmen aus dem Tourismus zu verringern und so die Türkei zu schwächen.
Aha, die Kurden wollen also nichts weiter als eine schwache Türkei. Wozu, bleibt offen. Frage: Politische Motive für die Taten sehen Sie nicht? Antwort: Daß den Terroristen die politische Begründung ihrer Taten nicht abzunehmen ist, zeigt sich daran, daß sich ihre Anschläge gegen Ziele richten, die mit dem Konflikt nichts zu tun haben. Nämlich gegen Touristen. Außer, man verfolgte mit der Schwächung der Türkei doch politische Ziele. Stichwort Erpressung. Das kennen Sie doch, Herr von K. Gerade in der Außenpolitik ist die doch wohl üblich.
Aber Herr von Klaeden will sich mit Politik nicht abgeben. Frage: Engagiert sich denn aus ihrer Sicht die Türkei ausreichend für ein politische Lösung der Kurdenfrage? Antwort: Daß die Behandlung der Kurden in der Türkei nicht unseren Standards entspricht, trifft zu. Eine politische Lösung würde den Terroristen aber nur einen Anlaß aus der Hand schlagen, mit dem sie versuchen, ihren Terror zu rechtfertigen. Daß eine politische Lösung eine Terrororganisation tatsächlich von ihren Anschlägen abhalten würde – diesen unmittelbaren Zusammenhang halte ich für naiv.
Also versucht man die gar nicht erst, man kann nur draufhauen, auf diese verdammten Terroristen. Die Erfolge dieser Art von Außenpolitik sind allerorten zu sehen.
Vielleicht steht aber auch hier nur Außenpolitik drauf, und irgendeine ganz faule Sache steckt drin!