Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 7. August 2006, Heft 16

Terror-Hymnen

von Klaus Hart, São Paulo

Brasiliens mächtigste Verbrecherorganisation Primeiro Comando da Capital (PCC – Erstes Kommando der Hauptstadt), die im Mai eine Welle von Attentaten und Häftlingsrevolten auslöste, hat ihre Hauskomponisten und Musiker. Sie verherrlichen zumeist in harten Raps die Anschläge auf den Staat und seine Polizei, auf öffentliche Gebäude, Busse und Metro. Sie bejubeln die Gangsterbosse und berufen sich auf Osama Bin Laden und die Taliban. Detailliert schildert das Stakkato ihrer Sprechgesänge die bewaffneten Überfälle auf Autofahrer, die auf Straßen und Autobahnen der Städte gestoppt und beim Versuch der Gegenwehr oder der Flucht gewöhnlich erschossen werden. Diese Raps reflektieren das soziokulturelle Klima in den Stadtvierteln der Unterschicht.
Überall in Brasiliens Großstädten werden CD mit Gewalthymnen an den Ständen der Straßenhändler für umgerechnet nicht einmal einen Euro verkauft. Renatinho und Alemao (der Deutsche) aus São Paulo gelten als die Hitmacher und wichtigsten Musikproduzenten des PCC. »Ich bin Terrorist, ich bin ein Taliban«, rappen sie auf einer ihrer populärsten Scheiben, auf der beinahe in jedem Titel Bomben und Granaten explodieren, MG-Salven zu hören sind. »Unsere Terrororganisation ist der Staatsfeind Nummer Eins.« In der Liveversion singt ihr Publikum lauthals mit. In Raps wie Alta Voltagem, oder Bonde dos Guerreiros wird das Vorgehen der PCC-Kommandos ausführlich beschrieben: »Im Morgengrauen rücken wir aus, dann singt das MG/Messer an die Kehle, Schuß ins Genick, Terror und Aktion, mancher Gegner wird geköpft/Der Unterdrückte gegen die Unterdrückung/Wir glauben an Gott und Christus/ Krieger und Kriegerinnen sind furchtlos/Wir hacken Köpfe ab, stecken Gegner in die Mikrowelle …« Damit ist eine der grauenhaftesten Hinrichtungsmethoden des organisierten Verbrechens gemeint: über das gefesselte Opfer werden Autoreifen gestapelt, diese werden mit Benzin übergossen und angezündet. Auf einer PCC-Rap-CD wird dieses Verbrennen von Gegnern als Grillfest am Flußufer angekündigt: »Doch dieses Fleisch will niemand essen, weil es drittklassig ist, von üblen Figuren stammt – von diesem Fleisch würde einem schlecht …«
Im Straßenhandel São Paulos sind Tonträger mit Gangsta-Rap zwischen den Samba- und Sertaneja-CDs nicht zu übersehen. Auf den Hüllen prangen schwerbewaffnete Gangster, Totenköpfe, Leichen, das World Trade Center von New York in Flammen, MG, Granaten, Osama Bin Laden und die Initialen der nationalen Verbrechersyndikate. Auf einer neuen CD steht schwarz auf weißem Grund: PCC – nur Terroristisches – live in Santos. Gemeint ist Brasiliens wichtigste Hafenstadt bei São Paulo, wo der in Brasilien produzierte VW Fox, dazu Kaffee, Zuckerrohrschnaps und Obst nach Europa verschifft werden. In den Slums von Santos veranstaltet der PCC jene berüchtigten Rap-Massenfeten, auf denen nicht selten Tausende von tanzenden jungen Leuten die viehisch rohen Raps mitgrölen und sich offen mit dem PCC identifizieren. Auf diesen Bailes Funk werden die jüngsten Attentate gefeiert, die Rapper stellen unverblümt das Waffenarsenal des Terrors, das Material belico vor: »Wir sind Soldaten, wir haben das deutsche G3-Maschinengewehr, aber auch Kalaschnikows, Granatwerfer, die israelische Uzi-Mpi, das schweizerische Sig-Sauer-Sturmgewehr, nordamerikanische M-16-MG und österreichische Glock-Pistolen, Handgranaten aus Argentinien/ Ja, wir sind finstere Typen, richtige Banditen/Wir machen Terror wie in Bagdad, ganz im Stile Bin Ladens, halten auf die Würmer feste drauf/ Wir sind Falken, immer wach/Her mit einem deutschen G-3 und einem vollen Magazin …«
Eine schwarze Menschenrechtsanwältin Rio de Janeiros kennt einen Zeugen, dem zufolge inmitten von Bailes Funk Jugendliche der Zuckerhutstadt den Feuertod starben. Fotos verkohlter Opfer werden von Zeitungen Rios beinahe täglich veröffentlicht. Wiederholt haben Gruppen junger Männer nach Bailes Funks Bettler verbrannt.
Brasiliens Gangstersyndikate beherrschen die Slums neofeudal wie einen Parallelstaat und terrorisieren die Bewohner. In zahlreichen Gewalthymnen werden die Armenviertel von Rio und São Paulo aufgezählt, die jeweiligen Banditenbosse ausdrücklich gewürdigt. Slumradios spielen auf Wunsch von inhaftierten PCC-Mitgliedern besonders oft einen Rap über die grauenhafte Lage in den Gefängnissen …
Warum identifizieren sich so viele junge Brasilianer per Gangsta-Rap mit dem organisierten Verbrechen? »Da das Gesellschaftssystem kalt und berechnend ist, grausam mit den Verlierern, dazu hierarchisch, machistisch und autoritär«, so der Anthropologe Luiz Eduardo Soares, »reproduzieren jene Jungen, die beim Verbrechen mitmachen, dieses System exakt so wie in der Gründerzeit des wilden, kolonialen Kapitalismus.« Ihre Gewalthymnen dokumentierten das »Inferno unseres alltäglichen Krieges«, die Spaltung der Gesellschaft, ihre perversen Sozialkontraste.