von Ursula Malinka
Im neuen Familienbericht vom April dieses Jahres – zu beziehen von der Internetseite des Bundesfamilienministeriums – wird über den verpaßten Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft schwadroniert. Doch mit der selbst gebotenen Dienstleistung ist es auch nicht weit her: Man kann sich den Bericht zwar herunterladen, aber nicht anschauen; die 4,7 MB sind für ein Allerweltsmodem richtig Arbeit – und bringen der Telekom Geld. Statt dem Interessenten eine Übersicht bereitzustellen, aus der sich die für ihn in Frage kommenden Kapitel auswählen und herunterladen könnte, gibt es nur alles oder gar nichts.
Sofort einsehen kann man hingegen, was die Experten der Sachverständigenkommission des siebten Familienberichts zu ihrem eigenen Bericht mitzuteilen hatten. Doch das hatte man alles schon in der Zeitung lesen können. Im Grunde genommen ist dieser Bericht eine Zumutung, denn er beschreibt die Probleme und Mißstände so, als habe die jahrzehntelange Politik damit nichts zu tun, als seien die Ansichten und Verhaltensweisen in diesem Land nicht etwa Ausdruck der nicht zuletzt aus der Politik resultierenden Verhältnisse, sondern unverständlicherweise einfach so vorhanden. Keiner weiß, woher sie kommen. Damit es nicht auffällt, wie man sich aus der Verantwortung stiehlt, ist alles schön in einen wissenschaftlichen Ton verpackt. Man kann es auch als Schwarze Pädagogik deuten: »Du sollst nicht merken …«
Welche Art von Dienstleistungsgesellschaft man möchte, hat die Regierung im Einvernehmen mit den Wirtschaftsverbänden in den vergangenen Jahren mehr als deutlich gemacht. Sie alle werden nicht müde, denen, die keine Arbeit haben, vorzurechnen, mit wie wenig Geld man leben könne.
Und für die Almosen des sich auflösenden Sozialstaates muß die betroffene Bürgerschar sich in »Arbeitsgelegenheiten« verdingen, die, wenn das auch immer noch vehement bestritten wird, reguläre Arbeit ersetzen. Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung, Dauerpraktika für Absolventen und Scheinselbständigkeit waren eben noch zu human.
Im Fernsehen debattieren die Nichtbetroffenen, daß es schließlich keine Schande sei, anderen die Schuhe zu putzen. Dem Staat auf der Tasche zu liegen, das sei das Unehrenhafte, wofür sich die Leute zu schämen hätten. Dazu werden Reportagen über ausgebuffte Schnorrer geboten, die es immer noch besser finden zu betteln als zu arbeiten. Wenn es anders wäre, hätten wir ja gar keine Arbeitslosen. Nach dieser Lesart schummeln sich trotz aller Verschärfungen immer noch vier, viereinhalb oder sogar mehr Millionen als Schmarotzer, Drückeberger und Faulenzer durchs Leben und trüben so die heile Welt. »Du sollst nicht merken …«
In die gleiche Kategorie einzuordnen ist, wie in den Medien die Sache der Agrarier betrieben wird. Am Ende der Spargelsaison machte sich der MDR zum Sprachrohr des Vorsitzenden des Bauernverbandes. Auf einer Tagung seines Verbandes meinte Sonnleitner, daß es nicht sein könne, daß die deutschen Bauern zwar den Import von Spargel und Erdbeeren aus Osteuropa hinzunehmen hätten, aber für ihre Produktion keine Arbeitskräfte erhielten. »Wir fordern freien Zugang zum osteuropäischen Arbeitsmarkt!«, schmetterte er zustimmungsheischend über den Sender.
Deutlicher kann man Arbeitskräfte nicht zur Ware stempeln. Und Waren holt man sich dort, wo sie am günstigsten sind. Schon der Begriff Arbeitsmarkt ist verräterisch. Auf einem Markt wird mit Waren gehandelt, und Angebot und Nachfrage bestimmen deren Preis. Die Arbeitskraft – eine Ware wie jede andere. Mancher Bauer mustert nun wieder die Leute nach Gutsherrenart. Wir sind auf dem Weg zurück zur Tagelöhnerei.
Kurt Biedenkopf und Edmund Stoiber hatten schon vor Jahren den Arbeitnehmer in einen »Unternehmer seiner eigenen Arbeitskraft« umwandeln wollen. Auch hier gilt: »Du sollst nicht merken …«
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