Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 12. Juni 2006, Heft 12

Wenn’s einem in die Nase fährt …

von Jochen Gutte

Mitunter hat jemand den Braten längst gerochen – was bedeuten soll, es habe eine untrügliche Vorahnung gegeben, die sich nunmehr bewahrheitet hat. Mitunter erscheint uns auch manches anrüchig, doch mit Riechen hat das oft gar nichts zu tun. Es geht um ein ungutes Gefühl in der Bewertung. Man kann zwar noch nichts Genaues sagen, aber es muß Grund zu Befürchtungen bestehen: »Das riecht förmlich nach Skandal« Ohne Zweifel ist es gar nicht so schlecht, wenn man den richtigen Riecher hat und sich auf seinen Riecher verlassen kann – oder?
Da könnte durchaus etwas dran sein; aber man weiß es nicht so genau. Vielleicht riecht auch jede Nase etwas ander[e]s. Die Papillarlinien auf den Fingerspitzen nutzt man inzwischen recht erfolgreich. Vor Jahren trat im Fernsehen ein Ohrenforscher auf, der konnte recht überzeugend darlegen, daß unsere Ohrmuscheln ziemlich viel an Individualität »ausstrahlen«, dazu bräuchte man nicht einmal die Lupe zu bemühen.
Und nun die Nase! Man sieht’s manchem schon an der Nase an, heißt’s zuweilen. Ja, was denn? Diese Frage ist noch ziemlich unbeantwortet. Da ist es schon recht aufschlußreich, was man von niederländischen Riechforschern erfährt. Bisher hielten sie sich meistens spürbar zurück, was für ihre Seriosität spricht. Doch nun erfährt die Welt von einem Umstand, den man gewiß zu Nutz und Frommen machen wird: Wenn es in der Kantine nach Putzmittel riecht, dann würden die Gäste manierlicher essen. Diesen Zusammenhang legen zumindest die Forschungsresultate von Rob Holland und seinen Kollegen nahe (Psychological Science, 9/05). Große Erkenntnisse und Einsichten sind letztlich immer ganz einfach und schlicht, und man denkt sich: so einfach, daß man da nicht schon selber drauf gekommen ist.
Das ist wissenschaftlich erwiesen, experimentell überprüft, objektiv, reliabel und valide, wie sich’s gehört: Die Wissenschaftler der Universitäten Nijmegen und Utrecht untersuchten, ob sich Menschen in ihrem Verhalten durch Gerüche beeinflussen lassen, ohne es zu bemerken. Wie wirkt es sich aus, wenn man etwas riecht und es nicht bemerkt, also subliminal wahrnimmt? Man riecht etwas, ohne es zu riechen. Vielleicht ist es gut und richtig, sich einen solchen Zustand genauer vorzustellen, indem man sich bewußt und intensiv hineinversetzt!
Das Experiment der Niederländer ging wie folgt: Der Proband nahm in einem kleinen Verschlag an einem Bildschirm Platz. Für ihn unsichtbar war in seiner Nähe ein Eimer mit lauwarmem Wasser und Putzmitteln plaziert. Nun galt es für ihn, möglichst schnell zu entscheiden, ob aufscheinende Vokabeln wie »poetsen« (putzen) oder »fietsen« (Rad fahren) zum holländischen Wortschatz gehörten oder Nonsensworte darstellten. Alles, was mit Sauberkeit zu tun hatte, erkannten die Probanden schneller als sinnvolle Worte.
Das mag für den nichtwissenschaftlichen Betrachter schwer nachvollziehbar sein. Ein anderes Experiment: Studenten mußten aufschreiben, was sie mit dem Rest des Tages anfangen wollten. Bei klarer Luft dachten elf Prozent der Studiosi ans Putzen. Die Schwaden eines Reinigers sorgten dagegen bei 36 Prozent für solche Gedanken.
Seriöse Wissenschaftler bleiben kritisch, vor allem wenn sie die eigenen Vermutungen bestätigt sehen und variieren das Experiment so lange, bis Plausibilität und statistische Prüfung zweifelsfrei für das Ergebnis sprechen. So wurde das Verhalten der zitronenduftanimierten Studenten einer Bewährungsprobe unterzogen: Verhalten sich die so Animierten auch wirklich reinlicher? Zur Klärung dieser Frage ließen die Psychologen in der nächsten Runde Studenten je einen Keks essen, wobei sie eine stark krümelnde Sorte wählten. Das Resultat war für alle Kantinenbetreiber vielversprechend: Vom Reinigerduft umweht, wischten die Krümelmonster dreimal häufiger die Brösel vom Tisch als jene, die ihren Keks in duftloser Umgebung essen durften. Ebenso wie in den anderen Versuchen kam dabei niemand auf die Idee, daß sein Verhalten etwas mit dem Zitronengeruch zu tun haben könnte.
Bleibt nun die praktische Nutzanwendung: Alle Düfte und gegebenenfalls Geschmacksrichtungen müßten auf ihre Verhaltenswirkung geprüft werden: Was machen Leute, die unterschwellig Kamille gerochen haben? Oder Veilchenduft? Oder Pfefferminz? Oder Faulbaum?
Zweifellos stehen unsere persönlichen Erfahrungen als Laienriecher dazu in keinem Gegensatz. Nicht wenige glauben, daß es solche noch unerschlossenen Wirkungszusammenhänge gibt. Jüngst zeigte man im Fernsehen, wie sich Mietnomaden verhalten: Sie hinterließen dem Vermieter eine chaotisch zugemüllte Wohnung, aus der es bestialisch stank. Wäre das zu verhindern gewesen, wenn man aus Vermieterhand Zitronenduft durchs Schlüsselloch gesprüht hätte? Man sollte die Kosten-Nutzen-Relation bedenken! Wenn die holländischen Forscher richtig liegen, könnten durch Putzmittelgeruch, ganz unmerklich verabreicht, selbst Mietnomaden kultiviert werden.
Ob man beim neugestalteten Plenarsaal des Bundestages bereits an den Einsatz von Geruchsverbesserern gedacht hat, ist nicht bekannt. Wünschenswert wäre es schon! Man müßte nur noch den wirksamsten Antikriegsgeruch ausfindig machen.
Wie riecht eigentlich die neue Armut? Vielleicht sollte man an Suppenküchengeruch denken?