Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 29. Mai 2006, Heft 11

Uniformbildung

von Jürgen Meier

Ministerin Zypries will Uniformen an den Schulen einführen. Ein alter Gedanke! Das Ziel ist auch nicht neu. Es gibt sie ja längst, die Uniformen an deutschen Bildungseinrichtungen, wenn auch nicht staatlich verordnet. Jede studentische Burschenschaft ist stolz auf das Wir-Gefühl, das der Ideologie dieser Verbindungen deutschnationaler Männerbünde entspringt und in Uniformen seinen Ausdruck findet. Die »Burschen« treten stets im »Wichs« auf, so nennt man in Österreich die Uniform, um ihren elitären Anspruch lauthals zur Geltung zu bringen. Der »Wichs« ist eine Verpackung für eine studentische Elite, die ganz aristokratisch gesinnt, hinter die Ziele der bürgerlichen Demokratie zurückwill.
1815 gründeten Studenten in Jena die Deutsche Burschenschaft. Die Parole Ehre, Freiheit, Vaterland nutzte dieser Bund, um völkischnationales, rassistisches und antisemitisches Gedankengut zu verbreiten. Zehn Jahre vor der faschistischen Machtergreifung waren alle national-freiheitlichen Verbindungen in Deutschland und Österreich »judenrein«. 1933 organisierten sie gemeinsam mit der SA die Bücherverbrennung. Kein Wunder also, daß viele Burschenschafter im NS-Staat Karriere machten: Heinrich Himmler, Alfred Rosenberg oder postum Horst Wessel.
Natürlich trugen sie als Staatsmänner alle Uniformen! Durch militärische Riten, strenge Hierarchien und Regeln sollte der Charakter der studentischen Verbindungsbrüder aristokratisch geformt werden. Wichtige Bestandteile sind dabei die Uniform mit Kappe und Band. Ältere Burschen haben Strafbefugnis über jüngere, die sogenannten Füxe, die sich mit einem zweifarbigen Band zu schmücken haben. Die Älteren dürfen den Füxen befehlen, den Rest ihres Bieres auszutrinken. Schließlich will der ältere Bursch verhindern, daß er von seinem Fux unter den Tisch gesoffen wird. Die Toilette darf der Fux während eines rituellen Besäufnisses, des Kommerses, nicht aufsuchen. Alles im Dienste der Festigung der Rangordnung. Der Fux muß Disziplin lernen. Uniform und Disziplin gehören halt zusammen. Erst danach gilt der Fux als befähigt, selbst andere zu führen.
Ein anderer Ritus ist die Mensur, die laut Andreas Mölzer von der Wochenzeitung Zur Zeit, »eine besondere Art von körperlicher und moralischer Bewährungsprobe« ist. Das Fechten mit dem Säbel präge das Bewußtsein für die Exklusivität der uniformierten Männerbünde. Man sei stolz auf einen tiefen Schmiß in die Wange, die der Säbel grub, mache er doch deutlich, daß sein Träger bedingungslos für die Interessen seiner Elite eintritt. Damit die Narbe des Säbelhiebs noch breiter wird, streut der schlagend Geehrte Salz in seine Wunden. Kein Witz! Das sei Tradition, behaupten diese uniformierten Studenten.
Sehr traditionell sind auch ihre Forderungen. Bei einem Fackelzug auf die Wartburg am 31. März 1990 forderten Burschenschaftler ein Deutschland in den Grenzen von 1939. In Österreich gilt die Deutsche Burschenschaft (DB) als Sprungbrett für ein Parteiamt in der F.P.Ö. »Wer sich unter Burschen bewährt, der schafft es auch in die Politik.«, so F.P.Ö.-Mitglied Martin Graf. Die Ideologie, die unter den Uniformen steckt, ist entscheidend. Das Volk verstehen die Burschenschaftler als einen biologischen Körper! Sicher eine Basis für ein Wir-Gefühl, das der deutschen Geschichte nicht fremd sein dürfte.
Was für diese Herren in Uniform das Vaterland ist, teilen sie in ihrer Satzung im Artikel 9 mit. Es ist »unabhängig von staatlichen Grenzen«. Deshalb wird der 3. Oktober in diesen Kreisen studentischer Elite gern als Tag der kleinstdeutschen Einheit bezeichnet. Das soll genügen, um zu zeigen, daß Uniformen kein Garant sind, um in den Schulen den aufrechten Gang und wahre Menschlichkeit zu lernen, was ja wohl mit Kultur gemeint ist. Im Gegenteil.
Denn schnell wird sich in den Köpfen der Uniformfunktionäre ein Gedanke prägen: Wer darf unsere Schuluniform überhaupt tragen? Der Skin? Der türkische Junge, der die deutsche Sprache nicht beherrscht? Der schwule Oberschüler, der aus seinem Herzen keine Mördergrube macht? Der linke Schülersprecher, der die rechten Tendenzen seines Schulleiters kritisiert? Wer nicht in die Norm der Uniformfunktionäre paßt, wird keine Uniform bekommen, der gehört einfach nicht dazu, der muß weg, der muß auf eine andere Schule wechseln. Ist doch klar!
Schließlich werden sonst alle Uniformträger mit diesem einen Abweichler identifiziert. Unter jedem konstruierten oder manipulierten Wir-Gefühl brodeln die Widersprüche der Wirklichkeit. Wer Konkurrenz und Mobbing in der Schule durch Uniformen beseitigen will, der begreift nicht, daß die Wurzeln dieser Konkurrenz in einem brutalen Marktkampf der Konzerne seinen Ursprung nimmt.
Aber, wird man sagen, in Großbritannien hat man doch tolle Erfahrungen mit den Uniformen gemacht. Sicher, Großbritannien war auch einmal eine Kolonialmacht, die ein manipuliertes »Wir« brauchte, um die eroberten Kolonien im eigenen Interesse lenken zu können.
Der Drang zur Uniformierung der Schüler ist ein verzweifelter Drang von Schulfunktionären, die jener Bewegung zu begegnen versuchen, die der Kapitalismus mit seiner gigantischen Warenproduktion, gefolgt von manipulativer Werbung und Täuschung mobilisierte, um viele einzelne Konsumenten zu züchten, denen er seine in Massenproduktion gefertigten Waren verkaufen kann. Diese vereinzelte Konsumentin – meist sind es ja die Mädchen, die sich chic machen wollen –, die sich leidenschaftlich bemüht durch H & M möglichst günstig eingekleidet zu werden, um »geil« auszusehen, soll nun in einen Citoyen, also in einen abstrakten Menschen gewandelt werden, einem künstlichen Menschen, der für ein »Wir« einstehen soll, das es in dieser bürgerlichen Welt nur als manipulatives Hirngespinst gibt.
Das kann nicht ohne eine Ideologie funktionieren, die den Uniformen einen inhaltlichen Halt gibt. Also ist die Zeit der scheinbaren »Entideologisierung« vorbei. Bald werden, im Angesicht stolzer Uniformträger, wieder Reden von den Aulatribünen geschwungen werden: »Wir sind Wir!« »Wir sind Elite!« »Wir sind deutsch!« Wir sind …? Ja, wer sind wir denn? Die Antwort auf diese Frage kann nicht die Uniform sein, sondern nur die Erkenntnis, daß für die Entfremdung des einzelnen Menschen von seinem Nächsten und von der menschlichen Gattung Ursachen verantwortlich sind, denen die Schüler bewußt an den Kern gehen müssen, um ein Bewußtsein von dieser Entfremdung zu erhalten.
Erst mit diesem Bewußtsein sind Menschen mit einem aufrechten Gang möglich, die keine Pöbelein und rassistischen Diskriminierungen benötigen, die wirklich über Selbstbewußtsein verfügen, die sich als Individuen, also als Teil der Gattung begreifen, deren Ziel die Beseitigung der Entfremdung ist. Dazu bedarf es keiner Uniform!