Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 6. Februar 2006, Heft 3

Bewährte Lügen

von Kurt Merkel

Von dem vielen Gerede über die Gefahren, die mit der Erhaltung der Sicherheit verbunden sind, bin ich ganz verunsichert. Ich vermeide es meistens schon, im Gespräch zu erwähnen, daß ich damals, 1990, beim Einmarsch der Iraker in Kuwait, dort war, und, nachdem ich alle übrigen DDR- und andere Deutschen, die sich bei mir befanden, nach Bagdad geschickt hatte, auch noch dort blieb.
Denn, nach den jüngsten Erkenntnissen, die es über den Charakter von in ansonsten geräumten Botschaften Zurückgebliebenen gibt, könnte ja angenommen werden, ich sei – die DDR war noch immer nicht ganz tot – im Auftrag der verruchten Stasi dort geblieben. Vielleicht mit dem Auftrag, die Koordinaten nach Süden rollender Autokarawanen mit kuwaitischen Scheichs und Generälen zwecks deren Bombardierung durch die Iraker durchzugeben. Und falls solche Zusammenhänge denn einmal aufgedeckt würden, müßte ich nicht einmal, schließlich ist die DDR nun seit langem eine Leiche, mit der Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses rechnen – zumal das tote Parlament der toten DDR nun auch noch endgültig abgerissen wird. Aber ich könnte nicht darauf bauen, daß sich mein Innenminister, also Herr Schäuble, vor mich stellen und erklären würde, Geheimes müsse, da es geheim sei, auch geheim bleiben, und die Aufdeckung wäre eine Gefährdung der nationalen Sicherheit.
Hicks und ‘tschuldigung, aber so unglaublich blöd und verlogen läuft doch die Behandlung der offenkundigen geheimdienstlichen Zusammenarbeit der Bundesrepublik vor allem mit den USA während des – wie vom Bundesverwaltungsgericht festgestellt – völkerrechtswidrigen Krieges der Amerikaner gegen den Irak, sowie bei der völkerrechtswidrigen Verschleppung von Verdächtigen und deren völkerrechtswidrigen Verhören in völkerrechtswidrigen Gefängnissen. Und da arbeiten sie nun alle einträchtig bei der Verhinderung einer Aufklärung zusammen, der Außenminister, der vorher der Oberaufseher der Dienste war, der wegen Parteigeldaffären einst geschaßte jetzige Innenminister, und auch die eigentlich auf der Oppositionsbank sitzenden Grünen halten sich kräftig zurück bei der notwendigen Aufklärung, sehen sie doch das Lügengebäude der einstigen rot-grünen Friedenspolitik wanken. So weit jedenfalls haben wir es also gebracht, daß die Ausübung des parlamentarischen Rechts auf Kontrolle der Tätigkeit staatlicher Organe öffentlich Bedrohung der staatlichen Sicherheit genannt werden darf.
Aber so wichtig sind diese deutschen Querelen natürlich auch wieder nicht. Am interessantesten daran ist wohl der amerikanische Anteil an der Enthüllungswelle, wollten sich Bush & Co. doch nicht von den Deutschen wegen ihrer fragwürdigen Sicherheitspolitik bloßstellen lassen.
Wichtiger und gefährlicher ist das Spiel mit dem Gedanken, den Iranern doch mal eine kleine Atombombe aufs Haupt zu werfen oder sie anderweitig zu disziplinieren. In einigermaßen gutwilligen Presseprodukten wird das Problem so behandelt: Auf Seite eins wird von der sich zuspitzenden Gefahr durch den in Angriff genommenen Bau einer iranischen Bombe gefaselt, auf der außenpolitischen Seite wird dann klargestellt, daß nicht der Prozeß der Anreicherung von Uran wieder aufgenommen wurde, sondern ein damit verbundenes Forschungsprogramm, auch das unter Kontrolle der Vereinten Nationen, und daß selbst die Anreicherung nicht gegen die Bestimmungen des Nichtweitergabevertrages (NPT) und der den Friedensnobelpreis tragenden Aufsichtsbehörde der Vereinten Nationen verstoßen würde. Weniger gutwillige Medien, dazu gehören auch die Nachrichtensendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, beschränken sich auf die Darstellung des ersten Teils und betreiben so eine aktive Kriegshetze.
Dabei ist die Beziehung zwischen den beiden Seiten der Angelegenheit ja nicht so schwer zu erfassen, man muß sich nur ein wenig in der Geschichte umtun. Als die Atommächte der Zeit des Kalten Krieges ein Patt erreicht hatten, waren sie sich darin einig, ihr gemeinsames Monopol zu verteidigen, also die unkontrollierte Erweiterung der Zahl der Atommächte nicht zuzulassen. Das hinderte sie allerdings nicht daran, jeweilige Verbündete in den Club aufzunehmen, also Indien und Pakistan, Israel und das Apartheidsregime. Um trotzdem zu einer Begrenzung zu kommen und die Nichtweitergabe der entsprechenden Technik zu vereinbaren, fand man das Mittel des Vertrages über die Nichtweitergabe und der Einsetzung eines Kontrollorgans. Nun traten die neuen Clubmitglieder diesem System nie bei, aber um auch nur die Mehrheit der anderen Staaten dafür gewinnen zu können und sie zu einem Verzicht auf die Herstellung von Atomwaffen zu veranlassen, bedurfte es einer Verpflichtung der ursprünglichen Atommächte, ihr Waffenarsenal nicht weiterzuentwickeln und die Zahl der vorhandenen Sprengköpfe zu reduzieren, einer Verpflichtung, der sie bekanntlich nicht nachgekommen sind. So ist das Vertragssystem, geschaffen zur Minimierung der Gefahr einer atomaren Auseinandersetzung, zu einem Erpressungsinstrument der Großmächte mutiert, mit dem die Erhaltung ihres Bedrohungsmonopols gesichert werden soll.
Nun besteht ganz zweifellos ein allgemeines Interesse daran, die vorhandene atomare Bedrohung abzubauen und zu verhindern, daß weitere Staaten atomare Waffen entwickeln. Das betrifft jeden Staat, auch den Iran, der zu diesem Zweck nicht zu einer Inkarnation des Bösen aufgebaut werden muß. Wenn auch gesagt werden sollte, daß das gegenwärtige iranische System alles tut, um die Hetze gegen das Land zu erleichtern. Wenn es Ahmadinedschad nicht gäbe, müßten die Amerikaner ihn erfinden. Auf eben dieselbe Bewertung hatten sich 1990 alle Beobachter des damals vorbereiteten ersten amerikanischen Golfkrieges bezüglich der Rolle Saddams geeinigt. Aber der Blick auf die Geschichte und auf den Unterschied von Interesse und Mittel zeigt auch, wo die Möglichkeit für die Lösung des Konflikts liegt: Der Iran muß nicht erpreßt werden, sondern ermuntert, in dem Kontrollsystem zu verbleiben. Und die Atommächte müssen begreifen, daß es der Erhaltung auch ihrer Sicherheit dienen würde, träten sie dem Überwachungssystem bei und/oder begännen sie endlich mit einer Reduzierung ihres Bedrohungspotentials.