von Klaus Hart, São Paulo
Der Mitgründer des Weltsozialforums, Francisco Whitaker, 74, hat die brasilianische Arbeiterpartei (PT) unter Protest verlassen. In der Partei von Staatschef Luis Inacio Lula da Silva hatte Whitaker zu den letzten hochgeachteten »Aufrechten« gehört, nachdem bereits zahlreiche seiner Mitstreiter von der zentralistischen Führungsspitze ausgeschlossen worden waren oder aus Unzufriedenheit mit dem Regierungskurs das Parteibuch zurückgegeben hatten.
Der Austritt Whitakers erregte in der brasilianischen Öffentlichkeit enormes Aufsehen. Der einstige »Hoffnungsträger« Lula und die Spitze seiner Arbeiterpartei stecken tief im Korruptionssumpf: Abgeordnetenbestechung, Parteien- und Stimmenkauf, Mittelabzweigung und Machtmißbrauch. Es sei eingetroffen, so Whitaker, was die katholischen Kirche bereits vor den Wahlen von 2002 prophezeit habe. »Die jetzige politische Krise war vorhersehbar. Um die Wahlen zu gewinnen, wurde sogar der berüchtigte PR-Manager Duda Mendonca, der zuvor für rechte Politiker arbeitete, eingekauft, es wurde mit Tricks und Täuschung, mit Lügen gearbeitet. Um an die Macht zu kommen, so die neue Logik, muß man Wahlen gewinnen, dafür ist viel Geld nötig – unwichtig, woher es kommt. Der Traum ist aus, überall spürt man Bestürzung und Enttäuschung. Doch es gab Leute wie mich, die dachten, man könnte noch manches reparieren. Das war ein Fehlschluß. Besonders gravierend, daß man im Ausland sogar auf illegalen Schwarzkonten Geld hortete. Übelste politische Machenschaften, die die Arbeiterpartei stets bekämpft hatte, gelten unter Staatschef Lula auf einmal als normal.«
Aber Lula, wende ich ein, spricht immer wieder von enormen Fortschritten. »Die brasilianischen Eliten profitieren heute von Lula, sie finden ihn optimal. Paradoxerweise sind deshalb die Privilegierten heute am meisten daran interessiert, daß er möglichst lange weiterregiert, um das neoliberale Wirtschaftsmodell zu garantieren. Nie zuvor haben die Banken solche Profite gemacht. Im Falle Lulas und der Arbeiterpartei agierten unsere Machteliten wieder einmal sehr intelligent. Zudem kontrolliert Lula die Sozialbewegungen, hält das Volk mit Almosen von Unruhen ab. Seine Sozialprogramme sollen dazu dienen, die Masse unterwürfig und abhängig zu halten. Selbst die oft so kämpferisch auftretende Landlosenbewegung MST wurde gezähmt, überschreitet nie bestimmte Grenzen der Kritik an der Lula-Regierung. Statt einer für Brasilien so dringend nötigen Agrarreform, die eine enorme Nachfrage bislang vom Binnenmarkt ausgeschlossener Bevölkerungsgruppen geschaffen hätte, wurde das exportorientierte Agrobusiness gefördert.«
Francisco Whitaker, der im Rahmen der brasilianischen Bischofskonferenz die Arbeit der Kommission für Gerechtigkeit und Frieden koordiniert und jahrelang enger Mitarbeiter des befreiungstheologischen Kardinals Evaristo Arns in São Paulo war, ist mit seiner Meinung kein Außenseiter. »In der Bischofskonferenz denkt man größtenteils wie ich, viele Bischöfe sehen die Dinge genauso. Allerdings gibt es in der Kirche keine Enttäuschung über die Lula-Regierung – weil man die Probleme ja ganz realistisch vorausgesehen hatte. Überrascht hat lediglich das Ausmaß der Machenschaften – mancher dachte, so weit würde es wohl doch nicht kommen.«
Francisco Whitakers neuestes Buch: »O desafio do Forum Social Mundial – um modo de ver« (Vorwort von Oded Grajew, brasilianischer Unternehmer, der die Idee des Weltsozialforums hatte), Editora Fundacao Perseu Abramo, São Paulo
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