von Krzysztof Pilawski, Warschau
Auf einer Tagung, die die berühmte Moskauer Kaderschmiede für Diplomaten, das IMO-Institut, zusammen mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung im November 2005 in der russischen Hauptstadt organisierte, sprach ein mit der SPD verbundener deutscher Referent über die Gefahr, die das Lukaschenko-Regime für Europa bedeute. Die Argumente, die er anführte, finden in Polen täglich Verbreitung. Ihm antwortete ein belorussischer Professor. Er verwies darauf, daß Belarus ein stabiles Land sei, das für seine Nachbarn keine Bedrohung darstelle. Die Grenzen zu Litauen und Polen würden sorgfältigst kontrolliert, so daß keine zusätzlichen illegalen Einwanderer die Europäische Union belasteten. Jedes Jahr kämen Tausende Einwanderer nach Belarus. Außerdem: Bürger aus Belarus fragten weitaus seltener in der EU illegal nach Arbeit nach als etwa Bürger der Ukraine, sie verschonten also den dort ohnehin vielfach angespannten Arbeitsmarkt.
Ich unterstützte die Argumente des Professors. Auf das Beispiel Polens verweisend, führte ich an, daß Demokratie allein Stabilität nicht garantieren könne. In einer Situation, in der es nach mehr als zehn Jahren bei uns nicht gelungen sei, grundlegende Probleme zu lösen – Arbeitslosigkeit, Armut, nicht ausreichende Ernährung bei Millionen von Menschen, dazu steigende Einkommensunterschiede –, habe ein bedeutender Teil der Bürger jene Parteien unterstützt, die nichtliberale und zugleich nichtdemokratische Losungen vertraten. Lukaschenko, erklärte ich, habe geschafft, was den meisten postsowjetischen Staatschefs verwehrt blieb.
Kürzlich erhielt ich von einem Lehrer aus Litauen eine längere Mail, in der er seine Eindrücke von einer Reise nach Belarus mitteilte, wo er viele Jahre nicht gewesen war. Er nahm sowohl postsowjetische Relikte wahr – die Art der Grenzabfertigung, unfreundliches Verhalten des Verkaufspersonals –, aber auch Dinge, die ihn überraschten: Fabriken, die nicht stillgelegt wurden und sich nicht in Ruinen verwandelten, sondern arbeiteten; allgemeine Sauberkeit und Ordnung; Sicherheit auf den Straßen auch nach Einbruch der Dunkelheit.
Lukaschenko hat das getan, was die Kaczynski-Brüder den Polen vor den Wahlen versprochen haben: den Landsleuten das Gefühl von Stabilität und Sicherheit, die Gewißheit des morgigen Tages zu geben.
Diese kleine Lukaschenko-Stabilisierung führt dazu, daß der belorussischen Opposition die Millionen Dollars ausländischer Unterstützung, die Stipendien und die Schulungen nur wenig nützen. Ihre Schwäche resultiert nicht aus Repressionen, sondern aus der Überzeugung eines nicht unbeträchtlichen Teils der Gesellschaft, daß einem Sieg der Demokraten folgen würde, was auch in anderen Ländern der Region erfolgte: Arbeitslosigkeit, Rückzug des Staats aus den Sozialprogrammen, Oligarchisierung der Wirtschaft und Übernahme ihrer Kontrolle durch Multis. Die Leute wollen eher in einem Reservat leben als in einer liberal-demokratischen Ordnung.
Genau diese seit 1989 in Polen herrschende Ordnung wurde bei den jüngsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen durch die Bürger erschüttert. Dabei geht es nicht alleine um die Wahlergebnisse, sondern auch um den hohen Grad an Wahlabstinenz. Die zeugt davon, daß sehr viele Bürger Polens aufgehört haben, an die Wirksamkeit demokratischer Prozeduren zu glauben.
Meines Erachtens werden die Kaczynski-Brüder nicht an der Demokratie scheitern. Selbst dann nicht, wenn sich auf den Kundgebungen nicht einige Dutzend, sondern einige zehntausend Menschen versammeln würden. Sie können sich immer wieder der Sozialpolitik zuwenden. Von den großen Versprechen haben sie sich allerdings bereits zurückgezogen, etwa von den drei Millionen Wohnungen, auch die versprochenen Arbeitsplätze bleiben inzwischen unerwähnt. Sie konzentrieren sich auf kleinere Dinge: zusätzliche Gelder für die Ernährung von Kindern, einmalige Zahlungen bei Geburten, Einspruch gegen steigende Benzinpreise. Sie bemühen sich – den jüngsten Umfragen nach durchaus erfolgreich –, dies medienwirksam zu verpacken. Ministerpräsident Marcinkiewicz versucht, den normalen Bürger zu erreichen.
Während Lukaschenko seine kleine Stabilisierung seiner Rußland-Politik verdankt, müssen sich die Kaczynski-Brüder der Frage stellen, aus welchen Quellen sich so eine kleine Stabilisierung für Millionen ins soziale Aus geratener Polen speisen sollte. Das um so mehr, als sie bei dem vor einem Jahr ins Spiel gebrachten Solidarbeitrag, der den Reichen und dem Mittelstand höhere Belastungen auferlegen sollte, einen Rückzieher gemacht haben. Statt dessen kokettieren sie mit neoliberalen Kreisen – etwa mit denen des Adam-Smith-Zentrums –, indem sie Steuergeschenke für alle und eine Verbesserung der Bedingungen für Unternehmer versprechen.
Auf Rußland kann angesichts der offenkundigen Abneigung der Kaczynski-Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gegen das Land nicht gezählt werden. Wahrscheinlich auch nicht auf die USA – trotz der gewaltigen PiS-Liebe zur Supermacht. Bleibt die Europäische Union, doch für die PiS ist sie zum großen Problem geworden. Denn in ihren Wahlaussagen hatte die Partei ihre skeptische Haltung zur Union in ihrer heutigen Gestalt herausgestrichen. PiS will ihr die eigenen katholisch-nationalen Farben aufdrücken, was natürlich lächerlich ist.
Noch lächerlicher ist indes die in den PiS-Dokumenten enthaltene Logik, wonach die EU dem Land wegen Jalta und dem Beitrag Polens im Kampf mit dem Kommunismus einen Ausgleich in Form von Entschädigung schulde. Bei den PiS-Politikern fehlen fast vollständig Erfahrungen im Bereich der Außenpolitik sowie Kontakte zu einflußreichen Politikern der EU. Die internationale Position Polens, die während der Amtszeit von Präsident Aleksander Kwas´niewski gestärkt worden war, beginnt zu brökkeln. Alle nichtdemokratischen Schritte der Kaczynski-Brüder werden in Brüssel und den wichtigsten EU-Hauptstädten sorgfältig registriert und verschlechtern die Chancen, mit EU-Mitteln die drängendsten sozialen Probleme in Polen zu lösen. Eine kleine Stabilisierung à la Lukaschenko ist für sie nicht möglich.
Die Kaczynskis sind nicht zu beneiden. Sie fürchten sich, den Kapitalisten auf die Füße zu treten, was aber die Fortsetzung des neoliberalen Kurses und die Verhinderung jeder solidarischen Politik bedeuten würde. In einer solchen Situation besteht ihre einzige Chance darin, Elemente der Sozialpolitik in eine EU-freundliche Politik hineinzuflechten. Dafür wird es aber unerläßlich sein, die demokratischen Regeln des Rechtsstaats genauestens einzuhalten und das Vertrauen der EU zurückzuholen. Das ist aber nur möglich, wenn auf den Kaczismus verzichtet wird.
Aus: »Trybuna«, Warschau, gekürzt, übersetzt von Holger Politt
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