Des Blättchens 9. Jahrgang (IX), Berlin, 9. Januar 2006, Heft 1

Alles hat ein Ende …

von Ursula Malinka

Nicht nur das Schillerjahr und das Einsteinjahr sind vorüber. Auch so manch weniger Spektakuläres hat sein Ende gefunden: Silvester und Weihnachten sind vorbei. Diese beiden Feste haben den schönen Vorzug, daß sie nicht auf das gesamte Jahr ausgedehnt werden können – dafür steht die ganze Feierei aber in ein paar Monaten wieder ins Haus. Ob sich allerdings der Handel bis dahin von seinem Gejammere und seiner Hoffnung auf mehr Umsatz verabschiedet haben wird, bleibt ungewiß. Letzteres kann er natürlich nicht, es muß ja wieder einmal bergauf gehen, denn bekanntlich hat jede Talfahrt einmal ein Ende. Allerdings erzählt man uns das nun schon mindestens seit zehn Jahren.
Was ist noch erledigt? Fünfzehn Jahre Einheit zum Beispiel. Bis zum nächsten runden Jubiläum haben wir nun fünf Jahre Ruhe. Was hat uns das fünfzehnte Jahr der Einheit gebracht? Worin sind wir nun wirklich vereint? Zumindest einen Punkt hatte im fünfzehnten Jahr einer, in Paris lebend, gefunden, bei dem alle Deutschen im Einheitstopf sitzen: bei der Eßkultur (Spiegel spezial 5/2005).
Die Deutschen können’s einfach nicht. Noch immer sind sie von der – Düsternis und Schwermut verbreitenden – Romantik fasziniert oder neigen zu germanischer Roheit, sie spüren lieber ihren inneren Zuständen nach, statt fröhlich drauflos zu leben und das Essen in südländischen Zeremonien zu genießen. Nicht viel hat es ihnen genützt, daß sie (jedenfalls ein Teil von ihnen …) seit nun gut vierzig Jahren die Welt bereisten sowie die Eßkultur anderer kennenlernten und all die Herrlichkeiten nicht nur in guten Geschäften, sondern seit jüngster Zeit auch in Supermärkten erwerben und sich so die bei den anderen bewunderte Eßkultur nach Hause holen können.
Sich mit dem zu ernähren, was das Land selbst erzeugt, war einst im Lande DDR selbstverständlich, wurde aber gleich in der Wende als purer Mangel entlarvt, und noch in diesem fünfzehnten Einheitsjahr fragte Alfred Biolek eine ostdeutsche Gastköchin dümmelnd, ob sie denn in der DDR habe kochen können, da es ja dort nichts gab. Konnte sie natürlich nicht, wie sie brav zugab. In der DDR haben wir demzufolge wunderbarerweise von Luft gelebt.
Den Deutschen versuchte man lange Zeit einzureden, daß selbsterzeugte Ware nichts wert sei, daß Weißkraut ein Armeleuteessen und eigentlich überhaupt ordinär sei. In jüngster Zeit hat sich das ein wenig geändert. Nun sollten es auch hierzulande wieder Regionalprodukte sein, aber bitte vom Direktvermarkter, aus Bioproduktion. Angeblich sei es verwerflich, die normale Butter zu kaufen, auch ein Hartz-IV-Empfänger habe teure Lebensmittel zu kaufen und damit seine Eßkultur aufzuwerten, meint zumindest der Mann aus Paris.
Allerdings hält er es für sinnlos, »einen unerfahrenen Esser von Null auf Hundert in ein Pariser Drei-Sterne-Restaurant zu schicken«. Wieder nichts mit deutscher Eßkultur und wohl auch nichts mit deutscher Einheit – denn die gibt es so nicht nur nicht zwischen Ost und West, sondern auch nicht zwischen oben und unten.
Worin haben sich unser Lebensgefühl und Lebensniveau vereinheitlicht? Wer nach wie vor im Osten hockt, wird sich nicht wie im Westen fühlen. Wer aus dem Westen noch nie einen Schritt in den Osten, vor allem in dessen »Provinz« gemacht hat, hat keine Chance zu begreifen, wie es dort ist. An der Demoralisierung der Ostdeutschen von ihrem Grunde her wird permanent weiter gearbeitet, ob durch die Birthler-Behörde, die Politiker aller Couleur oder auch durch eilfertige Zeitgenossen – siehe unsere brave Köchin. Angeglichen haben sich in Ost und West nur das Lebensniveau und die Lebensängste der unteren Schichten. Daran hat die am 18. September abgewählte Bundesregierung eine große Aktie.
Vorbei ist mit dem vorigen Jahr nun auch endlich das vorgezogene Wahljahr – das praktisch ein halbes Jahr für sich verbrauchte. Damit verbunden ist auch das Ende einiger Vergünstigungen für kleine Leute wie der Eigenheimzulage, deren Streichung insgeheim schon lange anvisiert, im Wahlkampf aber noch heftig abgelehnt worden war – und nun in schönem Einvernehmen beschlossene Sache ist.
Zum Ausgleich wollen sich die Parlamentarier erst einmal ihr Einkommen verdoppeln, um dann selbst für ihr Alter vorsorgen zu können. Das ist doch ein schöner Anfang für das neue Jahr.