Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 21. November 2005, Heft 24

Zähneklappernde Amöben

von Ove Lieh

Eine eigenartige Stimmung herrscht im Land. Irgendwie ist es still geworden. Man kann in den Wald Deutschland hineinrufen, was man will, es schallt nichts heraus. Das soll anders werden, kündigt man uns an, die Stille wird einem Heulen und Zähneklappern weichen, sobald die große Koalition verkündet, was ihr weiser Rat beschloß.
An das Heulen will ich ja glauben, das haben wir in etwas leiserer Form ja heute schon, aber hinsichtlich des Zähneklapperns plagen mich angesichts des Umgangs der Deutschen mit ihren Gebissen und des Zustandes der Dentalbranche ernste Zweifel. Vom Handwerk ist ein Ersatzklappern vorläufig auch nicht zu erwarten, obwohl das eigentlich dazugehören sollte, aber das Heulen geht auch da schon ganz gut und der Spruch: »Jammern gehört zum Handwerk« hat auch was – Deutsches.
Wie dem auch sei, die Zähne sollen klappern. Bisher haben sie vor allem geknirscht wie der Sand im deutschen Reformgetriebe. Demgegenüber wäre Klappern immerhin schon ein Schritt auf dem Weg zum Mund-aufmachen. Ein kleiner – aber immerhin. Da aber Klappern für die Zähne nicht gesünder ist als Knirschen, sollten die Leute sich mit beidem nicht zu lange aufhalten, sondern lieber den Mund aufmachen und mitreden.
Es scheint zwar heute einen Konsens zu geben, daß Koch nur den sogenannten kleinen Mann als zähneklappernden Heuler oder umgekehrt gemeint haben kann, aber könnte nicht selbst unsere Demokratie wenigsten für Überraschungen gut sein, wenn sie auch sonst für so manches nicht mehr taugt!? Vielleicht sollte man das Heulen und Zähneklappern bei jenen organisieren, die sich Papiertaschentücher und Zahnersatz leisten können!? Sich die entsprechenden Maßnahmen einfallen zu lassen, dürfte kein Problem sein.
Aber, und das ist Teil dieser eigenartigen Stimmung, alle sind sich sicher, daß derartiges nicht passieren wird. Das Maximum an Demokratieentwicklung, das man sich offiziell noch vorstellen kann, heißt Föderalismusreform. Bißchen wenig, oder?
Die Reformen, die man plant, sollen tiefgreifend sein, sind dies aber vor allem hinsichtlich der Taschen und der Rechte der Leute. Was ihren Einfluß angeht, ist da wohl nichts geplant.
Man gewinnt den Eindruck, in einer seltsamen Übergangszeit zu leben, die neben anderen Möglichkeiten auch in eine große Blamage der Politik münden und damit eventuell heute noch ungeahnte Neuanfänge möglich machen könnte.
Die gegenwärtige Ruhe könnte ein Vorbote dessen sein. Es gibt ja im Tierreich auch so ein Phänomen, daß Tiere vor großen Katastrophen ganz stille werden und abwarten. Das hat sich nach meiner Überzeugung im Laufe der Evolution so herausgebildet. Nun konnte man letztens hier lesen (siehe Das Blättchen 21/2005, Stefan Wogawa: Obskurantenspiele), daß sich der Thüringer Ministerpräsident für eine Diskussion in seiner Staatskanzlei engagiert, ob nicht letztlich doch ein Schöpfer dahintersteckt. Man muß das verstehen, wer ständig in diesen Kreisen verkehrt, muß irgendwann fürchten, daß die Leute allesamt von Amöben abstammen und vielleicht versuchen, doch eine edlere Herkunft nachzuweisen. Als Quelle allerdings einen göttlichen Schöpfungsakt anzunehmen, kann angesichts des Resultats leicht als Gotteslästerung gewertet werden. Andererseits ist die von Althaus gebetsmühlenartig wiederholte und in fast jede seiner Äußerungen einfließende Behauptung: »Wir brauchen in Thüringen und in Deutschland mehr Wachstum für mehr Beschäftigung« tatsächlich gottvoll, kennzeichnet aber dennoch einen schlechten Tausch.
Wie dem auch sei, angesichts dessen, was das Politiktheater uns anbietet, ist mir heute schon zum Heulen, zum Klappern waren meine Zähne allerdings zu teuer.