Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 21. November 2005, Heft 24

Thomas Mann

von Viola Roggenkamp

Thomas Mann war deutschnational, verheiratet mit einer Jüdin und ein gestandener Antisemit, der angesichts der nationalsozialistischen Bewegung in bedrängende Nähe zu dem kam, was er selbst als »nie gesehenes Maß von dummer und grobschlauer Unverschämtheit« bezeichnete. »Das elende Niveau« war es, was ihn an den Nazis störte und erbitterte, »die Mischung von Unbildung, Träumerei und Rohheit.«
Das Homophile und das narzisstisch Rauschhafte im faschistoiden Männerkult zogen Thomas Mann stark an. Nachzulesen ist das in seinem leider viel zu wenig bekannten Aufsatz »Bruder Hitler«, geschrieben im März 1939. Er äußerte sich auch verständnisvoll über den Antisemitismus. »Die Revolution gegen das Jüdische hätte gewissermaßen mein Verständnis, wenn nicht der Wegfall der Kontrolle des Deutschen durch den jüdischen Geist für jenes so bedenklich und das Deutschtum nicht so dumm wäre, meinen Typus mit in denselben Topf zu werfen und mich mit auszutreiben.«
Für den Schriftsteller blieb »selbst das unselig-verworrene Deutschland noch eine große Angelegenheit«. Er wäre gern Teil dieser »großen Angelegenheit« gewesen, um Deutschland repräsentiert zu sehen in seiner Person des großen deutschen Dichters gleich nach Goethe.
Was für Thomas Mann typisch jüdisch war – neben der »geprüften Geistigkeit und ironischen Vernunft« – offenbaren viele seiner jüdischen Romanfiguren. Außer seinem Joseph, dem Menschheits-Epos, sind sie hässlich, schmierig, impotent, sinnlich verführend, vulgär-lüstern, und das alles unheilvoll gepaart mit Intelligenz. Sogar den faschistoiden Wahn stellte Thomas Mann, obendrein nach der Schoa, in jüdischer Gestalt dar. In seinem Alterswerk »Doktor Faustus« personifiziert der Jude Chaim Breisacher die nazihafte Unmenschlichkeit, während die Hauptfigur, Dr. phil. Serenus Zeitblom, das Gute als der Deutsche repräsentiert. Das für Thomas Mann bedrohlich Schlimme, das ihn gerade anzog, das Körperliche, Gierige und Schmuddelige, das Besessene, Getriebene, kommt bei ihm dem Jüdischen zu, dem Anderen, dem Fremden. Daneben konnte das für ihn und seine Lebensverfassung tatsächlich beunruhigende Homosexuelle asketisch gezügelt und rein erscheinen.
Was wäre aus Thomas Mann geworden ohne seine Einheirat in die jüdische Familie Pringsheim? Ein in Nazi-Deutschland gefeierter deutscher Dichter? Der Dichter und Literaturnobelpreisträger des Hitler-Regimes? Thomas Manns Einheirat in eine jüdische Familie bewahrte ihn davor, von den Nazis geehrt zu werden, »wie keiner sonst«, so seine Tochter Erika Mann.
Und so kommt diese Verbindung zwischen jüdischer Lebenskultur und deutscher Dichtung auch noch der deutschen Nachwelt zugute. Hätten ihn seine Ehefrau Katia und seine Tochter Erika nicht gegen seinen Willen ins Exil gebracht, »die große Angelegenheit«, deutschtrunken und homophil faschistoid, würde auch diesen Dichter womöglich verschlungen haben.