Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 7. November 2005, Heft 23

Prozeß in Bagdad

von Uli Brockmeyer

Die Bush-Regierung hat tief in die Taschen der Steuerzahler der USA gegriffen, um einen Prozeß zu finanzieren, der von Anfang an nichts als eine Farce sein kann. Von mindestens 75 Millionen Dollar ist die Rede, andere Quellen sprechen von 128 Millionen, die für das angebliche Tribunal bereitgestellt wurden. Nach welchem Recht der ehemalige Diktator und seine Mitangeklagten nun abgeurteilt werden sollen, ist bisher völlig unklar. Das Land, in dem der Prozeß stattfindet und aus dem sämtliche Ankläger und Richter stammen, hat noch nicht einmal eine Verfassung, geschweige ein funktionierendes Rechtssystem. Wenn man dennoch ein solches Verfahren beginnt, das noch dazu im Fernsehen übertragen wird und bei dem laut veröffentlichter Meinung das Todesurteil bereits feststeht, kann es sich nur um einen Schauprozeß handeln.
Das Hauptproblem bei diesem Prozeß sind jedoch jene Verbrechen, die nicht zur Sprache kommen. Man kann mit großer Sicherheit davon ausgehen, daß die meisten dieser Verbrechen niemals vor einer Jury von Richtern behandelt werden, da Regierungen, Geheimdienste und Unternehmen aus den USA, Großbritannien, Frankreich und anderen westlichen Ländern zu tief darin verwickelt sind. Le Monde diplomatique schrieb, daß mindestens fünf Präsidenten der USA, drei französische Präsidenten und mehrere britische Premierminister »die Verbrechen des Baath-Regimes gebilligt haben oder gar an ihnen beteiligt waren«.
Dazu gehören zehntausende Fälle von Folter und Mord bereits in den ersten Tagen der Machtübernahme durch Saddam Hussein. Dessen Putsch im Februar 1963 war seinerzeit von den USA mit viel Geld und mit Waffen unterstützt worden, um eine Entwicklung im Irak zu verhindern, die von der CIA als prosowjetisch eingestuft wurde. Zu den ersten Opfern Saddams gehörten – gewissermaßen »folgerichtig« – tausende Kommunisten. Die CIA hatte den Putschisten ausführliche Listen mit Namen von Mitgliedern der kommunistischen Partei und anderen verdächtigen Linken übergeben, so daß Saddam in der Lage war, die KP bereits in den ersten Wochen seiner Herrschaft regelrecht auszurotten. Einer der Beteiligten an den Massakern sagte später: »Wir hatten nur den einen Befehl erhalten: Kommunisten vernichten!« Ein US-Diplomat erklärte dazu, die USA seien froh gewesen, daß ihnen jemand »die Kommunisten vom Halse schaffte«. Bei einem Treffen von US-Vertretern und Baath-Leuten in Bagdad am 9. Juni 1963 wurde die Absicht, »den Kommunismus in der Region einzudämmen« sogar schriftlich festgehalten.
Auch der beinahe zeitgleich begonnene Vernichtungsfeldzug gegen die Kurden wurde von den USA tatkräftig unterstützt. Einer der damaligen Befehlshaber der irakischen Armee berichtete, daß die USA kostenlos tausend Napalmbomben angeboten hatten, um kurdische Dörfer zu bombardieren. Öffentlich wurde der Anschein erweckt, die Bomben seien von der Sowjetunion geliefert worden.
Auch ist nicht davon auszugehen, daß jemals ein Gericht ein anderes der ganz großen Verbrechen Saddams behandeln und aburteilen wird: den Krieg gegen den Iran, dem ab 1980 mindestens eine Million Menschen zum Opfer fielen. Zu diesem Krieg war der Diktator ebenfalls von den USA ermuntert worden, die daran interessiert waren, das Regime der Ayatollahs in Teheran zu beseitigen. In (noch) geheimen Dokumenten wird ausdrücklich erwähnt, daß US-Präsident Carter grünes Licht für den Angriff gegeben hatte. Außerdem wäre es relativ leicht, den Nachweis zu erbringen, daß der Irak während des gesamten Krieges von den USA – die sich angeblich neutral verhielten – nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Fotos der Spionagesatelliten unterstützt wurde.
Seinerzeit war der Westen außerordentlich darauf erpicht, mit Hilfe des Iraks »ein Gleichgewicht in der Region« zu erhalten, wie der französische Ex-Außenminister Roland Dumas später zugab. Deshalb taten zum Beispiel die USA und Frankreich alles, um im UNO-Sicherheitsrat eine Verurteilung irakischer Kriegsverbrechen zu verhindern – einschließlich der Giftgasangriffe gegen kurdische Dörfer im Irak.
Die Waffen wurden damals nicht nur aus den USA, sondern auch von französischen Unternehmen wie Dassault, Thomson und Aérospatiale geliefert. Giftgas kam auch aus der Bundesrepublik Deutschland. Welcher Ermittler wird jemals diese Unternehmen vor ein Gericht bringen, oder gar die Geheimdienste und Regierungen, die davon wußten?
Ein ordentlicher Prozeß gegen Saddam Hussein müßte auch die Umstände des ersten und zweiten Golfkrieges aufklären, also die Rolle der US-Präsidenten Bush senior und Bush junior. Welcher Richter, der bei klarem Verstand ist, würde das wagen? Die Ermordung von mindestens 150 Menschen, wofür sich Saddam Hussein jetzt zu verantworten hat, war selbstverständlich ein Verbrechen. Sollte der Prozeß aber nur dazu dienen, die Taten von Saddams Unterstützern im dunkeln zu halten, würden die Opfer ein zweites Mal ermordet.