Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 24. Oktober 2005, Heft 22

Neue Wege braucht das Land!

von Jochen Gutte

Wie erschüttert wir doch alle waren, als die wichtigsten Ergebnisse der sogenannten PISA-Studie Augen und Ohren der Öffentlichkeit erreichten! Deutschland, das traditionelle Land der Dichter und Denker, man denke an Bohlen und Biedenkopf, war tief gesunken, so tief, daß Länder, denen so etwas überhaupt nicht zuzutrauen war, viel weiter oben im Ranking plaziert waren … Was dereinst für die Amerikaner der Sputnikschock, das war für alle patriotisch gesinnten Deutschen der PISA-Schock.
Bevor sich die Wissenschaftler darauf geeinigt hatten, daß dem deutschen PISA-Abschneiden ein multifaktorielles Ursachengefüge zugrunde liegen müsse, hatten Parteien und Körperschaften bereits eine Fülle von Einzelerkenntnissen vorlegen können: Die Heimatvertriebenen hatten nachgewiesen, daß die deutsche Kultur in den vergangenen sechs Jahrzehnten entwurzelt wurde. Die Kirchen kamen, ganz gleich welcher Konfession, zu der Erkenntnis, daß auf einer gottlosen Schule, in der das Kruzifix verboten ist, kein Segen ruhen könne. Dem schlossen sich die Unionsparteien an, wobei sie überzeugend auf das signifikant bessere Ergebnis vor allem im Freistaat der Bayern hinwiesen. Westerwelle erinnerte sich seiner Schulzeit und forderte, es möge mehr Liberalität in den Schulen Einzug halten, überhaupt kümmere man sich viel zu sehr um Problemfälle, statt den Weg für die Besten freizumachen. Was die anderen so forderten, war allerdings – wie so oft – nicht gut »rübergebracht« worden, so daß man den Eindruck hatte, es wäre in breiten Kreisen der neuen Mitte und deutlich links davon überhaupt nicht über PISA nachgedacht worden.
Nun wissen wir es also: Die PISA-Misere ist multifaktoriell determiniert, darauf konnten sich alle Parteien beruhigt einigen. Schuld ist niemand, wenn man einmal vom jeweils anderen absieht. Eine Lösung ist derzeit natürlich auch nicht in Sicht. Die laufende Rechtschreibreform hat übrigens mehr Geisteskraft gebunden, als man überhaupt vorhanden glaubte.
In diese Situation hinein kommt überraschend ein Forschungsprojekt aus Jülich, das völlig neue Akzente setzt. Man fragt sich unwillkürlich, warum darauf noch niemand vorher gekommen ist. Das Elend hätte schon Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte früher beendet werden können. Ob die Jülicher durch PISA motiviert wurden, war nicht so genau zu erfahren. Sie untersuchten das Problem der Konzentrationsfähigkeit sowie der geistigen Disponibilität und ließen zu diesem Zwecke eine Gruppe von Nichtrauchern Nikotinkaugummis kauen. Was große Teile der Menschheit bis heute noch nicht für denkbar halten, konnte nachgewiesen werden: Mit Nikotin im Blut konnten die Studienteilnehmer manche der Aufgaben besser bewältigen. Sie vermochten zum Beispiel, ihre Aufmerksamkeit schneller von der rechten auf die linke Seite des Wahrnehmungsfeldes umzudirigieren, also zwischen den Hirnhemisphären »umzuschalten«. Unter dem Einfluß des Nikotins mußten außerdem weniger Nervenzellen aktiviert werden, um die Aufgaben zu lösen.
Wenn sich auch der tiefere Sinn dieser Erkenntnis nur den Experten erschließt, so kapiert auch der letzte Schulmeister: Rauchen in der Schule ist nützlich. Und wenn man es im Unterricht gestattete, ja sogar dazu didaktisch gestützt anhielte … Folgende Situation wäre vorstellbar: Der Lehrer hat das Ziel der Stunde benannt und eine Problemaufgabe gestellt. Die Mehrheit der Schüler hat bereits ihre Glimmstengel in Bereitschaft und wartet gespannt auf das Kommando: Aufgabe lösen! Streichhölzer werden entzündet, der erste blaue Dunst zieht durch den Raum, das konzentrierte Denken hat begonnen. Man sieht, wie die Augen über den Text fliegen, von links nach rechts und schon wieder von links nach rechts – bis der Sinngehalt des Textes erschlossen ist. Gleichzeitig erfolgen dank der Nikotinwirkung an den Synapsen gedankliche Operationen und Kombinationen. Und hast du nicht gesehen, sind die ersten fertig und zeigen dem Lehrer die Lösung … Der ist überrascht und erfreut; man merkt’s ihm deutlich an: »Daß ich das noch erleben darf!« wiederholt er für sich. Dann lobt er die brave Jaqueline: »Seit du dich überwunden hast und jede Stunde deine KORA GENTLE Flavor rauchst, hast du Fortschritte gemacht, die dir keiner zugetraut hätte!« – Dem allzu selbstbewußten Sven hingegen glaubt er, einen leichten Dämpfer versetzen zu müssen: »Sven, von dir als Kettenraucher hätte ich das auch gar nicht anders erwartet!«