von M.Z., Warschau
Die Kräfte haben sich formiert. Bei den Wahlen kämpfen mit Chancen auf einen Erfolg drei Gruppierungen. Auf dem rechten Flügel Erben der Solidarnosc, auf dem linken Flügel Erben der Volksrepublik. Ohne nähere Platzbestimmung tummeln sich Populisten aller Schattierungen.
Zu einem miserablen Rest verkümmert sind die Nachfahren der Solidarnosc-Bewegung. Sie haben es nicht geschafft, eine neue politische Kraft zu bilden, die sich über die ursprünglichen historischen Strömungen erhebt. Hauptsächlich deswegen, weil in der öffentlichen Meinung die Frustration und die Unzufriedenheit mit dem politischen Zustand ausschlaggebend geworden sind, nicht nur in Folge des Wirkens der SLD-Regierungen in der nunmehr zu Ende gehenden Wahlperiode, sondern – weit darüber hinaus – als Folge der Entwicklung der öffentlichen Angelegenheiten in den vergangenen fünfzehn Jahren, die von den Transformationsprozessen geprägt wurden. Ein Resultat dieser Entwicklung war die Niederlage der Frasyniuk-Hausner-Partei, die diese Transformation ohne jedes Wenn und Aber verteidigte.
Die populistischen Parteien Liga Polnischer Familien (LPR) und Samooborona bedienen sich einer Demagogie reinsten Wassers. Denn über ein sinnvolles Konzept für Polen verfügen sie nicht. Ihr Kampf gilt Abgeordnetensitzen. Was danach kommt, werde man schon sehen. Ihre Chancen in Regierungsverantwortung zu kommen, sind allerdings mies.
Klare Positionen und bessere Aussichten zu regieren haben die eingangs genannten Nachfahren der Solidarnosc, die PiS und die PO, von Recht und Gerechtigkeit und von der Bürgerplattform. (…) Sie wollen die gesellschaftliche Frustration nutzen, um in Polen autoritäre Regierungen antikommunistischer Frontkämpfer zu bilden. Das erklärt den unverschämten Radikalismus ihrer Wahlpropaganda und ihrer Herrschaftsvorstellungen, ihre Rückkehr zur längst vergessenen Sprache des Bürgerkriegs der ersten Nachkriegsjahre, ihre Programme zur politischen und wirtschaftlichen Diskriminierung. In ihrer Absicht liegt es, verschiedene große Gruppierungen der Staatsbürger aus der nationalen Gemeinschaft auszustoßen; angewandt wird dabei auch Fremdenfeindlichkeit. Um all diese Absichten zu verwirklichen, braucht es einen Staat des Ausnahmezustands in Politik und Wirtschaft. (…) Die Schwäche der Rechten besteht vor allem darin, daß ein großer Teil der Gesellschaft nicht die Lageeinschätzung der Rechten teilt und kein Vertrauen in eine Roßkur hat, wie sie von den Brüdern Kaczynski und vom Tandem Rokita-Tusk vorgeschlagen wird. Veränderungen werden zwar tatsächlich erwartet, desgleichen eine neue Politik und neue Leute, aber durchaus keine um fünfzehn Jahre verspätete Diktatur der Vorkämpfer des radikalen Solidarnosc-Lagers. Das wird auch durch die positive Reaktion auf die Kandidatur des Linken Wlodzimierz Cimoszewicz bestätigt, der im Unterschied zu den Führern der Rechten Präsident aller Polen sein könnte. Er startete ohne militante und diskriminierende Rhetorik.
Ansonsten stellt sich die Linke zerstritten zur Wahl. Die bisher regierende SLD hat sich erneuert – vor allem indem sie ihre Führung verjüngt und einige Sündenböcke geopfert hat. Der Mißerfolg der von der SLD abgespaltenen Partei Borowskis bestätigt die Vermutung, daß die Wählerschaft der Linken diese Spaltung nicht akzeptiert, sondern einen konsequenten Kampf um die Erneuerung der SLD bevorzugt. (…)
Die gesamte Linke ist noch weit von der Mobilisierung ihrer potentiellen Wähler entfernt. Und damit auch von Chancen bei den Wahlen, die es ermöglichen könnten, wenigstens die gesellschaftlichen Deformierungen wirkungsvoll zu stoppen sowie die Demokratie und damit den Rechtsstaat und dessen proeuropäische Orientierung zu verteidigen.
Voraussetzung dafür wäre, mit der bisherigen Politik der SLD zumindest in einem Schlüsselbereich zu brechen. Haben doch die sozialen und wirtschaftlichen Umwandlungen neben einigen positiven Elementen sehr schwerwiegende Konsequenzen gehabt – das vor allem in Gestalt eines korrupten Kapitalismus, einer drastischen Umschichtung der Einkommen und einer massenhaften Armut und Hoffnungslosigkeit. Die SLD hat diese Politik gemacht und ist dafür verantwortlich. Damit hat sie gegen ihre eigne politische Programmatik verstoßen. (…)
Jetzt muß damit Schluß gemacht werden. Es ist deutlich zu machen, daß linke Politik sich nicht nur im Brauchtum und in Symbolik zeigen, sich auch nicht nur in der Gleichberechtigung der Frau, in Abtreibungsfragen und im Verhältnis zu Minderheiten sowie in einem weltlichen Staatswesen und so weiter äußern. Links ist vor allem eine Wirtschafts- und Sozialpolitik, die die Interessen der Schwachen und die Ausgewogenheit der Interessen zwischen Arbeit und Besitz verteidigt, gleiche Bildungschancen für alle eröffnet und eine Gesundheitspolitik im Interesse aller betreibt. Ohne klare Aussagen zu diesen Fragen wird die SLD eine Partei von schwindendem Einfluß werden, weil sie einen großen Teil ihrer Wählerschaft für immer an die Populisten und die PiS verlieren wird.
Aus »Nie«, Warschau; übersetzt von Gerd Kaiser
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