Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 29. August 2005, Heft 18

Lob der Technik

von Horst Grunert

Meine Frau meinte, ich bräuchte eine neue Hose. Die alte habe einen unmöglichen Schnitt, schlabbere mir um die Beine. »Die Leute werden fragen, was du wohl für eine Frau hast, die dich so herumlaufen läßt!«
Ich haßte schon früher den Gang zum Kaufhaus. Vor allem, weil es die Dinge, die ich brauchte, oft nicht gab. Heute ist mein Widerwillen noch viel größer. Weil das Angebot so unübersehbar ist. Das, was man braucht, findet man nicht. Oder man gibt die Suche, verwirrt von der Vielfalt der Auslagen, entnervt auf. Außerdem wußte ich: Das, was ich nach Haus brächte, würde ihr ohnehin nicht gefallen. Doch wer hat ein Argument gegen den Satz: Du bist doch wohl alt genug, dir eine Hose zu kaufen!
Um des lieben Friedens willen überwand ich meinen Widerwillen. Das Kaufhaus nannte sich Shopping Center und unterschied sich von einem Kaufhaus dadurch, daß es einen Parkplatz im Gebäude besaß. Als ich die steile Auffahrt hinauffuhr, hatte ich den Eindruck, in einer Rakete vor dem Start ins Weltall zu sitzen. Doch kurz vor dem Abheben mußte ich eine scharfe Linkskurve nehmen und stand gleich darauf vor einer Schranke. Nun galt es, einen grünen Knopf an einer gelben Säule zu drücken, um eine kleine weiter Scheibe, genannt button, zu entnehmen. Tatsächlich, es klappte! Nach längeren Kreisfahrten, bei denen andere Autofahrer unterschiedlich mit mir kommunizierten – zwei zeigten mir den Vogel, einer rief Blödmann, und einer nannte mich einen alten Zausel – fand ich einen Parkplatz.
Nachdem ich – eine halbe Stunde später – den riesigen bunten Einkaufsbeutel, mit dem ich auch ein Spanferkel hätte transportieren können, im Kofferraum verstaut hatte, steuerte ich – in der Überzeugung, daß es doch irgendwie logisch in der Welt zugehen müsse, meinen Wagen in Richtung Ausgang. Tatsächlich stand ich bald wieder vor einer Schranke. Doch so sehr ich suchte, es gab keinen Geldautomaten. Andere Käufer, denen ich die Ausfahrt versperrte, bedeuteten mir mitleidig, daß sich der Automat irgendwo an einer Durchgangstür befinde. Nun, das war nicht weiter schlimm. Ich bat die Fahrer, die sich hinter mir angesammelt hatten, mir den Rückweg frei zu machen, was natürlich wieder einige mehr oder weniger freundliche Kommentare auslöste. Dann mußte ich mir aufs Neue einen Parkplatz suchen, was inzwischen noch viel schwerer geworden war. Schließlich fand ich auch den Automaten. Zu meinem Schrecken war er aber mit einer Vielzahl von Hinweisungen und Erklärungen bedruckt und enthielt mehrere Schlitze. Als ich mir die Brille aufsetzen wollte, bemerkte ich, daß ich sie im Auto vergessen hatte. Nun, das war nicht weiter schlimm. Ich machte mich auf den Weg zurück zum Wagen. Leider hatte ich mir die Nummer des neuen Stellplatzes nicht gemerkt … Als ich zum Automaten zurückkehrte, hatte sich eine recht große Schlange gebildet. Nun war mir Schlangestehen aus alten Zeiten noch wohl vertraut, doch wir hatten damals aus andern Gründen Schlange gestanden. Aber das Warten hatte auch sein Gutes. Ich hatte Muße, die Prozedur des Bezahlens zu studieren. Doch als ich schließlich dran war, klappte es doch nicht. Irgend etwas muß ich wieder falsch gemacht haben. Die Schlange wurde länger und länger. Eine junge Dame erbot sich, mir zu helfen. Ihr Lächeln war mir noch viel wichtiger als die Lösung des Problems. Dieses allerdings war verblüffend einfach: Ich gab der Dame einen Schein, und sie hielt mir das Wechselgeld sowie eine kleine grüne Scheibe, genannt button, zurück. Ich verabschiedete mich mit einer artigen Verbeugung von meiner Retterin und ging beglückt zum Wagen. Wenige Augenblicke später stand ich wieder vor der Schranke. Nun, das war jetzt wirklich nicht mehr weiter schlimm. Schließlich hatte ich Erfahrungen um Umgang mit der modernen Technik gesammelt. Beflügelt von der Erkenntnis, auch als älterer Herr meine Wirkung auf Frauen nicht verloren zu haben, hatte ich die Kurve zur Schranke wohl ein wenig zu kurz genommen. Als ich das Wagenfenster geöffnet hatte, stellte ich fest, daß mein Arm nicht an den für den button vorgesehenen Schlitz heranreichte. Nun, das war nicht weiter schlimm. Glücklicherweise hatte sich noch kein anderer Wagen hinter mich gesetzt. Ich stieß zurück und nahm die Kurve von neuem. Doch diesmal war ich zu nahe an der Säule. Als ich den button in den Schlitz stecken wollte, entglitt nir die verdammte und fiel zu Boden. Nun, das war nicht weiter schlimm. Doch als ich aussteigen wollte, um den button aufzuheben, ließ sich die Tür nicht öffnen. Ich stand zu nahe an der Säule. So setzte ich erneut zurück, stieß dabei aber an ein Fahrzeug, das sich hinter mir aufgebaut hatte und dem Ausgang zusteuern wollte. Doch ich bin ein Glückskind: Der Besitzer des Wagens bewertete den Aufprall als Bagatelldelikt und gab mir den Weg frei. Ich konnte die Tür öffnen, aus dem Wagen aussteigen und den button, der gemeinerweise unter den Wagen gerollt war, wieder hervorangeln.
Nun ging alles glatt. Ich steckte den button in den richtigen Schlitz, die Schranke ging auf, und ich fuhr die steile Rampe wieder nach unten.
Meine Frau meinte, die Hose sei viel zu lang. Sie passe mir nicht, und mir wurde deutlich, sie paßt ihr nicht. Sie meinte, es sei wohl zwecklos, mich noch einmal zu schicken. Sie wolle die Sache selbst in die Hand nehmen. Als sie zurückkam, hatte sie eine Hose für mich, die mir und ihr paßte. Und noch eine Menge anderer Sachen, die sie gekauft hatte, weil es sich so bequem einkaufen ließ. Und alles sei so reibungslos gegangen. Kunststück: Sie fährt nicht Auto.