Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 15. August 2005, Heft 17

Berliner Denkmäler

von Kurt Merkel

Auf seinem Wege zum Gericht geht Herr Heßreiter in Feuchtwangers Roman Erfolg auch über den Münchner Odeonsplatz, wo er die der Florentiner Loggia dei Lanzi nachgebildete Feldherrnhalle sehen muß, die er schon immer bewundert hatte. Um so mehr ärgert er sich darüber, wie erst durch zwei Löwen auf den Treppenwangen die strenge Wirkung des Bauwerks zerstört und dann die Rückwand der Halle mit einer »blöden, akademischen Aktgruppe verhunzt« worden war. Und dann heißt es: »Seither schaute Herr Heßreiter immer mit einer gewissen Scheu auf die Feldherrnhalle, ob nicht dort über Nacht irgendein neuer Greuel aufgestellt sei, und die zunehmende Verschandelung der Loggia galt ihm als Barometer der Böotisierung seiner Stadt.« Die Böotier aber galten den alten Griechen als denkfaul und geistigen Anregungen nicht zugänglich.
In Berlins historischem Zentrum, das zwischen Schloßbrücke und Siegessäule auch nicht eben arm an Denkmälern jeder Art und an historischen Gebäuden ist, setzen sich zunehmend Greuel böotischer Art durch. Die Unfähigkeit zu neuen, der Zeit entsprechenden Lösungen führte schon vor Jahren dazu, in die Neue Wache eine der Größe des Gebäudes gemäß aufgeblasene Kollwitzsche Piéta zu setzen. Bertelsmann hat sich an sein modernes Empfangsgebäude die nachgebaute Fassade der Kommandantur gehängt, die Bauakademie besteht aus einer neu gebauten Ecke und einer Potjemkinschen Plane, und noch immer gilt der Beschluß, eine nachempfundene Schloßfassade vor das eines fernen Tages einmal zu bauende Gebäude auf dem Schloßplatz zu hängen. Dieser Trend trifft auf die Mode der Installationskunst und verdrängt so das Verlangen nach Gestaltung originärer Formen für vorbestimmte Inhalte.
Denk- und Mahnmale auf die noch freien Flächen zu setzen – dies zu fordern ist zu einem Politsport geworden, dem sich zu widersetzen wegen des befürchteten Vorwurfs, so Regeln der Political Correctness zu verletzen, kaum jemand wagt. Die Installation eines Feldes von Kreuzen zur Erinnerung an Mauertote am falschen Ort und vor gefälschter Mauer in der Friedrichstraße konnte immerhin abgebaut werden, die Dependance des gleichen Unternehmens an ebenso falscher Stelle nahe dem Reichtag steht noch. Zu hoffen bleibt, daß Überlegungen über eine zentrale Gedenkstätte für an der Mauer Getöteten an der Bernauer Straße, eine Gedenkstätte zur Geschichte des Kalten Krieges am Checkpoint Charlie und eine Stätte des Erinnerns an die Berliner Mauer am zukünftigen U-Bahnhof Brandenburger Tor mit glücklicherer Hand gestaltet werden.
Da das Stelenfeld an der Ebertstraße von sich aus keine Mahnung und keine Erinnerung an die Ermordung der europäischen Juden darstellt, wurde ein Ort des Erinnerns hinzugefügt, der den Stelen erst den gewollten Sinn verleiht. Die Ausstellung dort allerdings zeigt weniger über den Gegenstand der Mahnung als das vorhandene Jüdische Museum und weniger als die vorhandenen Ausstellungen in der Synagoge in der Oranienburger Straße.
Nicht so weit davon entfernt wartet dagegen seit Jahren die Stiftung Topographie des Terrors auf das ihr längst zugesagte Gebäude, in dem sie die von ihr erarbeiteten Ausstellungen zum Gesamtkomplex Faschismus und Krieg, darunter mit den beeindruckenden Biographien der Täter und der Opfer, endlich wirksam vorführen könnte.
Besondere Aufmerksamkeit aber verdient ein vorhandenes Denkmal im unmittelbaren Umfeld des Reichstags, das leicht übersehen werden kann und auf das von keinem Stadtplan hingewiesen wird. Es ist das 1992 errichtete Denkmal für die 96 von den Nazis ermordeten ehemaligen Abgeordneten des Deutschen Reichtags. Eine in den Boden eingelassene Platte nennt den Gegenstand der Ehrung, auf den Schmalseiten der aufrecht stehenden, eng aneinander gedrängten Steinplatten stehen Namen, Lebensdaten und Orte der Ermordung sowie die Namen der Reichtagsparteien, deren Fraktionen die Ermordeten angehört hatten. Übrigens waren 83 der 96 Parlamentarier Mitglieder der KPD, SPD oder USPD. Ein Denkmal, das mir in der Bescheidenheit seiner Ausmaße und Gestaltung sowie der Klarheit seiner Botschaft ohne überflüssige Belehrung vorbildlich erscheint und das der Tendenz zur Böotisierung der Stadt entgegengesetzt ist.