von Klaus Hart, Rio de Janeiro
Merkwürdig widersprüchliches passiert derzeit in Deutschlands Weltmusik-, Drittwelt-und Feministinnen-Szene, die sich immer so politisch korrekt gibt. Ausgerechnet dem dekadentesten, frauenfeindlichsten, sexistischsten Rap-Genre Brasiliens, dem sogenannten Rio-Funk, öffnet man derzeit ganz weit die Tore, preist ihn gar als progressiv, authentisch – in völliger Unkenntnis der haarsträubenden Texte.
So tourte Rio de Janeiros dunkelhäutige Rapperin Tati Quebra-Barraco erstmals durch Deutschland, trat im Palast der Republik und sogar auf dem Ladyfest von Stuttgart auf, danach in Zürich und Amsterdam, bekam überall gute Kritiken, wurde gar als Repräsentantin eines neuen Feminismus, als authentische schwarze Stimme der brasilianischen Slums, der Slumkultur gepriesen. In Brasilien selbst traf die vom Kulturministerium unterstützte Tournee auf heftige Kritik – weil eben die Texte vor allem den gröbsten, gewalttätigsten, sexistischsten Machos gefallen und verbreitete Vorurteile gegen schwarze Frauen der Unterschicht verstärken sowie überhaupt ein ziemlich entsetzliches Bild der brasilianischen Frau vermitteln, ganz im Sinne der Sextouristen. Brasilianerinnen – also unterwürfige Weibchen, leicht rumzukriegen, bei denen man auch mal zuschlagen kann? Indessen kann man regelmäßig in Brasiliens Qualitätszeitungen Studien über sexistische, machistische Männergewalt lesen, die Brasilianerinnen am meisten fürchten – vor allem jene in den rasch wachsenden Armendistrikten.
Tati Quebra-Barraco, die aus dem Unterschichtsviertel Cidade de Deus stammt, das durch den Spielfilm City of God bekannt wurde, hat sich jedenfalls auf der Tournee köstlich amüsiert. »Die Deutschen«, sagte sie nach ihrer Rückkehr in Rio, »haben doch tatsächlich meine Titel mitgesungen, ohne zu wissen, um was es in den Texten überhaupt ging.« Anderenfalls hätte sich die Dreiundzwanzigjährige womöglich Pfiffe, Proteste oder Schlimmeres eingehandelt – schließlich waren nicht nur auf dem Ladyfest von Stuttgart sehr viele engagierte Frauen im Publikum.
Würden sie die Männer auffordern, sie zu schlagen, als Sexualobjekt in jeder beliebigen Form zu mißbrauchen, gar Hündin, Hure zu nennen? Schwer vorstellbar. In unangenehmster Gossensprache rappt Tati Quebra-Barraco auf Konzerten, in Massendiscos auch vor Kindern, all die Dinge, die ein grober Macho gerne hört, so, wie er am liebsten mit Frauen umspringt – denn just die sexistischen Machos von Brasilien sind Tati Quebra-Barracos Zielgruppe. »Mach Gigira die Beine breit, dann weißt du schon, was du mit ihr weiter machen mußt«, lautet eine häufig wiederholte Textzeile.
Böse-zynisch belustigt sie sich immer wieder über Geschlechtsgenossinnen, sinngemäß heißt es: »Ich hab’s mit deinem Mann getan, das gab mir allergrößte Befriedigung, sei deshalb nicht traurig – aber behandle ihn gut, sonst tue ich es wieder, treibe ich mit ihm wieder alle Sauereien …« Doch siehe da, in Berlin und auf dem Stuttgarter Ladyfest haben gerade Frauen – sogar im Chor – die übelsten Refrains aus voller Kehle mitgesungen. Zum Beispiel jenen, in dem die Rapperin explizit Analsex propagiert: Dar o cu è bom. Im Rio-Slang heißt das unverblümt: Den Männern das A … zum F … hinzuhalten, ist gut, ist toll. Wo doch jeder in Brasilien aus Untersuchungen weiß, daß die allermeisten Frauen des Landes Analsex als schmerzhaft und unangenehm empfinden – und deshalb ablehnen –, doch die Machos darauf geradezu versessen sind. Die Rapperin ist verheiratet, hat zwei kleine Töchter – der siebenjährige Yuri singt auf der neuesten CD mit. Die wurde für nicht mal drei Euro umgerechnet auf den Markt geworfen.
»Alles pure Pornographie, Obszönitäten, niedrigstes Niveau, schlecht gemacht«, urteilt der bekannte Musikkritiker Danilo Corci aus São Paulo. »Doch am gravierendsten ist, daß manche Medien diese Musik auch noch legitimieren, Tati Quebra-Barraco beinahe als Revolutionärin, als politisch engagierte Frauenrechtlerin aus der Unterschicht hochjubeln – völlig widersinnig und absurd! Arme brasilianische Frauen. Tati Quebra-Barraco ist vielmehr eine Antifeministin. Ausgerechnet in einem Macho-Land verstärkt eine Frau machistische Werte und Vorurteile, die sie als Slumbewohnerin eigentlich bekämpfen sollte. Und wendet sich direkt an das machistische Männerpublikum der Massendiscos – sorgt auf ihre Weise mit dafür, daß sich an der Rolle der Frau als Sexualobjekt, ohne persönliche Freiheit, nichts ändert. Daß sie in Deutschland sogar vor Frauenrechtlerinnen auftrat, ist daher für mich direkt surreal – offenbar hat wirklich niemand auf die Texte geachtet.«
Für den Musikkritiker Corci zudem ein Unding, daß laut Presseberichten ausgerechnet das Kulturministerium, geleitet von Gilberto Gil, die Tournee sponserte, Tati Quebra-Barraco also für eine fördernswerte Künstlerin hält – und der sogenannte Rio-Funk offensichtlich zu einem lukrativem Exportprodukt gemacht werden soll.
»Rio-Funk ist in den vergangenen Jahren eine richtige Industrie geworden – viele Journalisten wollen sich jetzt als Entdecker eines angeblich neuen Talents hervortun. Sie pushen bewußt Tati Quebra-Barraco, wollen mit ihr glänzen – das gibt’s ja oft im Kulturbetrieb. Brasilien hat hervorragende Rapper – doch die schickt man nicht nach Deutschland. So viel erstklassige, hochwertige brasilianische Musik, die draußen gehört werden sollte. Brasilien darf doch nicht immer nur als Sexparadies gesehen werden – auf Kosten der Frauen!«
Musikkritiker Corci unterstreicht aber gleichzeitig, alles andere als ein Puritaner zu sein und nichts gegen witzige, köstliche Frivolitäten zu haben, die in den Texten von Stars der Musica Popular Brasileira wie Chico Buarque keineswegs fehlen.
Ähnlich sehen das brasilianische Leserbriefschreiberinnen, die die Europa-Tournee der Rapperin kritisieren: »Es lebe unsere Mittelmäßigkeit, Scheinheiligkeit – nach so einer wie Tati Quebra-Barraco will man, daß Brasilien draußen noch ernstgenommen wird?« Tati sei nun wirklich eine Anti-Feministin, predige als Frau den Machismus der Männer, verrate die Sache der brasilianischen Frauen, sei ohne Ethik, ohne Gefühle. Es gebe so viele Brasilianerinnen, die für mehr Frauenrechte und gegen machistische Unterdrückung kämpfen – doch Tati Quebra-Barraco unterstütze den Rückschritt.
Ein deutscher Produzent, heißt es, will jetzt mit Tati Quebra-Barraco einen Titel aufnehmen. Das Stuttgarter Künstlerhaus nennt Rio-Funk »eine der spannendsten kulturellen Bewegungen«, und Tati Quebra-Barraco deren »First Lady«. Ihr Künstlername wird in ganz Deutschland fast durchweg mit »Tati House-Wrecker« übersetzt. Oder mit »Tati, die alles kaputthaut«. Befragte Brasilianerinnen, die den Rio-Slang kennen, deuten ihn anders.
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