Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 4. Juli 2005, Heft 14

Illusionen über die Stammzellforschung

von Frank Hanisch

Klonierung und kein Ende in den Schlagzeilen. Dabei ist das experimentelle Können des Südkoreaners Woo Suk Hwang, der auch als König des Klonens bezeichnet wird, tatsächlich bewundernswert, auch wenn die komplexe Technik fast in einem Satz zusammengefaßt werden kann: Aus einer Eizelle wird der Zellkern entfernt. In den Rest der Eizelle wird dann der Zellkern, der die Erbinformation enthält, aus der Hautzelle eines Patienten mit einer bestimmten erblich bedingten Erkrankung eingebracht (Kerntransfer). Diese quasi befruchtete Eizelle kann sich wie ein Embryo in allen nur denkbaren Gewebe entwickeln lassen.
Mit Hilfe dieser Stammzellinien können ohne Zweifel Erkenntnisse über die Grundlagen einer Erbkrankheit gewonnen werden. Wer jedoch glaubt, mit dieser Technik erblich bedingte Krankheiten behandeln zu können, irrt: Denn es wird das Erbmaterial eines Patienten übertragen, das einen genetischen Defekt enthält. Die Stammzellen würden also den selben Defekt aufweisen.
Die Stammzellinien könnten sich aber zu Transplantationszwecken bei nichterblichen Erkrankungen eignen. Zum Beispiel könnten sie zu Leber- oder Nervenzellen herangezüchtet und dann implantiert werden – nach Querschnittslähmungen oder Hepatitis oder bei der Parkinsonkrankheit. Allerdings besagen die Prognosen, daß die Anwendung dieser Therapieprinzipien als Standardverfahren noch mindestens eine Generation auf sich warten lassen wird.
Bleibt die Frage, ob, wenn das oben genannte Szenario finanziell und praktisch realisierbar wäre, die Gewinnung und Implantation embryonaler Stammzellen einer Spende von Knochenmark entspräche? Das ist zu verneinen, denn die Knochenmarkspende geht lediglich mit einem – zweifellos schmerzhaften – Stich in den Beckenknochen einher (alle anderen Organe werden hirntoten Patienten entnommen), während Spender von Eizellen ausschließlich Frauen sind, die sich zudem einer mehrwöchigen, durchaus mit Risiken behafteten Behandlung mit hoch dosierten Hormonen zu unterziehen haben. Allerdings ist nicht auszuschließen, daß sich genügend Frauen fänden, die die Fruchtbarkeitsbehandlungen als Verdienstquelle nutzen würden – nicht nur in Entwicklungsländern. Alles ist möglich: Schließlich gibt es in den USA auch Leihmütter, die für 15000 Dollar Kinder austragen.
Woo Suk Hwang konnte mit, jungen Frauen »frisch« entnommenen, Eizellen deutlich bessere Ergebnisse erzielen als mit Eizellen, die längere Zeit im Eisschrank eingefroren gewesen waren. Letztere sind Eizellen, die nach Fruchtbarkeitsbehandlungen übrigbleiben, Reserveeizellen, die nicht mehr empfängniswilligen Frauen eingepflanzt werden können, weil mit fünf Eizellen eine gewisse Risikogrenze erreicht wird, und die nach einem Stromausfall »entsorgt« werden. Bleiben die eingefrorenen Eizellen über längere Zeit also doch nicht ganz intakt?
Auch weitere Sicherheitsbedenken sind seit dem Klonschaf Dolly bis heute nicht ausgeräumt: Kommt es zu einem höheren Entartungsrisiko der aus dem manipulierten Eizellklon entstandenen Zellen? Altern diese schneller, erschöpft sich deren Zellteilungspotenz eher?
Seit mehr als zehn Jahren wird jeder methodische Forschschritt auf dem Gebiet der Gentechnologie und Stammzellforschung als Meilenstein in den Therapiemöglichkeiten bislang unheilbarer Krankheiten, in allererster Linie Krebs und Erbkrankheiten, verkauft; es wird regelrecht eine Erwartungshysterie geschürt. Doch meistens ist es nun einmal unseriös, den Sprung von einer Erkenntnis in der Grundlagenforschung sofort zu einer Therapie zu vollführen.
Sicherlich hilft die öffentliche Aufmerksamkeit jenen Institutionen, die ihre Ergebnisse geschickter vermarkten, kostbare Forschungsgelder zu erhalten. Jedoch muß man sich fragen, ob diese Sensationshascherei auf längere Sicht nicht dem Ansehen der Forschung in der Öffentlichkeit mehr schaden wird, als daß sie Ansehen bringt.