Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 6. Juni 2005, Heft 12

Der mit dem Speer albert

von Franz Giesinger

Ja, Sie haben ja recht, man soll mit dem Speer nicht albern, dafür ist er zu gefährlich. Natürlich weiß ich auch, daß man mit Waffen überhaupt nicht rumspielen soll (»Spiel nie mit dem Schießgewehr …!«), zumal als Deutscher, weil man nie weiß, wann es losgeht, und man auch eine besondere Verantwortung hat und Waffen nur zum Verkauf oder für den Krieg benutzt. Der vorläufig letzte verlorene ging vor einer runden Zeit zu Ende, und es wurde deshalb gebührend gefeiert, das Ende also. Einziger Wermutstropfen blieb, daß wir nicht gewonnen haben, aber da Geschichte vor allem eine Frage der Betrachtungsweise, weniger des Geschehens ist, arbeitet man immer noch am Endsieg. Inzwischen stehen wir schon besser da als die meisten der sogenannten Sieger.
Ein paar Schwierigkeiten gibt es aber. Erstens weiß man nicht genau, wer eigentlich damals im Namen des deutschen Volkes gegräuelt hat, es selber scheint es jedenfalls nicht gewesen zu sein, und zweitens ärgert man sich, daß der, dem damals jemand im Namen des deutschen Volkes gefolgt ist, so ein offensichtliches Scheusal gewesen sein soll.
Auch hier ist die Geschichte aber nicht unveränderlich. Denken Sie zum Beispiel nur an Väterchen Stalin, den viele von uns vergötterten, der aber inzwischen längst zum Oberscheusal avanciert ist. Beim Führer ist das genau umgekehrt, der galt einstmals als Verkörperung des Bösen, sieht inzwischen aber schon »ganz« anders aus (kleines Wortspiel, ha, ha), obwohl der ihn noch als scheußlich spielte.
In der Chaplin-Parodie von Moretti erscheint nun schon ein ganz anderer Führer. Es leuchtet, wenn er auftritt, mal abgesehen von den Bunkerszenen, in denen er fortwährend Parkinson simuliert – vielleicht weil er hoffte, auf diese Weise straffrei zu bleiben. Daß die, die im Namen des deutschen Volkes damals so mies handelten, diesen im Grunde ganz netten, wenn auch ein wenig größenwahnsinnigen Menschen dazu bringen konnten, seinen Namen für Krieg und auch noch für Menschenrechtsverletzungen in der schlechten Zeit herzugeben, ist, wenn man ihn so erlebt, kaum zu begreifen.
Um mit seinen modernen Darstellern mithalten zu können, hätte der Hitler allerdings große Mühe gehabt, und er kann aus heutiger Sicht froh sein, daß er die Rolle als Führer damals bekam. Ich glaube sogar, der war schon damals ganz einfach eine Fehlbesetzung, und man müßte mal nach dem Regisseur forschen, der das zu verantworten hat. Das Volk wäre das jedenfalls nicht, das kann nämlich nie etwas dafür, von wem es regiert wird, damals nicht, in der DDR und BRD nicht und heute in Deutschland schon gar nicht.
Für den Speer konnte auch keiner was, genauso wie der für nichts konnte, er wirkt eigentlich sogar ganz menschlich, insofern fragt sich wahrscheinlich niemand, ob man für ihn etwas können muß oder nicht. Streckenweise erwartete ich dauernd, daß sein Gesicht Züge von Anette Louisan annehmen würde und er anfinge zu singen: »Ich will doch nur bau’n!« Aber nicht so naiv wie die, sondern ziemlich faustisch.
Seinen Mephisto hat er auch dabei, der alte Streber. Seine Seele und die vieler anderer, die ihn allerdings höchstens als Kennziffer seiner Planungen interessieren, hat er seinerzeit in Beton gießen lassen, der wahrscheinlich mit Kruppstahl armiert wurde und flink wie Windhunde abgebunden hat. Weil unseres Mephisto-Führers Faust Speer eigentlich so ein sympathischer Kerl war, der sich zudem in der Haft devot zeigte, außer vielleicht gegenüber diesen durchgehend widerlichen Russen, bei deren Auftreten man nicht übel Lust bekam loszuschlagen, oder zumindest die verstand, die es einst taten, wirkte es dann auch sehr betrüblich, daß er nach der Haft mit seiner Familie nicht mehr so zurechtkam. Das ist ja noch viel furchtbarer, als wenn die Familie nicht mehr existiert.
Tröstlich nur, daß er noch ein paar Bücher verkaufen und so seinen bescheidenden Lebensunterhalt bestreiten konnte, nachdem der Krieg ihm alles genommen hatte.
Wenn er nur ein bißchen älter geworden wäre, hätte er womöglich noch Architekt der deutschen Einheit werden können!
Die hätte dann vielleicht geklappt, und Altkanzler Schmidt hätte nicht konstatieren müssen, daß sie gescheitert sei, mit dem bitteren Fazit: »Manchmal muß man auch bereit sein unterzugehen!« Nur, wir Deutschen wissen ja hinterher meistens nicht so genau, ob wir nun untergegangen oder befreit sind, oder eben auch vereinheitet. Ganz unsicher ist auch, ob wir besiegt wurden. Ich bin auf jeden Fall jetzt schon, mit vielen anderen übrigens, sehr gespannt, wie sich die »Sache« in zehn, zwanzig und mehr Jahren darstellt. Vielleicht kommt dann ein russischer Präsident zur Siegesfeier nach Berlin.
Liebe Museen, pflegt die Straßenschilder im Eurem Bestand, vielleicht brauchen wir sie noch einmal!