Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 25. April 2005, Heft 9

Traurig ohne Trauer

von Jerzy Urban, Warschau

Ich trage keine Trauer des Papstes wegen. Die totale Offensive des triumphierenden Katholizismus stört mich. Die Heuchelei, zur Schau getragen von auf Trauer geschminkten Frätzchen der Programmsprecherinnen im Fernsehen, ekelt mich an. Mich stören diese Politikdarsteller, die ihr dick aufgetragenes Make up von herausgequetschten Tränen zerfurchen lassen. Ich verspüre Furcht, wenn Menschen unter dem Druck der Herde mit Fanatismus durchtränkt werden. Besonders fürchte ich derartige Erscheinungen, wenn Klerikalismus und Nationalismus verschmelzen.
Wenigstens die Leser von NIE sollten mich nicht fragen, warum unsere Wochenzeitung sich nicht so wie die gesamte Presse anstellt: als ob alles Leben im Land und in der Welt zum Stillstand gekommen sei, weil der Papst verstorben ist.
Einige Leser schickten Mails, andere SMS, um mich wissen zu lassen, daß sie NIE nie mehr lesen werden, wenn das Blatt nicht auch Trauer um den Papst zelebriert. Ich antworte ihnen, daß sie das dann richtig machen. Wer Künstelei erwartet, Falschheit, Schmierentheater, der findet derartige Nahrung nicht bei uns – andernorts jedoch im Überfluß. Weder spiele ich infolge eines öffentlichen Drucks die Waise nach dem Tod Wojtyłas, noch erliege ich einer Massenpsychose aus sonst irgendwelchen Gründen.
Der britische Guardian zitierte am 5. April diesen Jahres den katholischen Schriftsteller Graham Green. Er sagte einmal, ihm habe geträumt, Zeitungen seien mit der Schlagzeile erschienen: Johannes Paul II. sprach Jesus Christus heilig.
Einige ausländische Redaktionen rufen mich –, weil sie unzufrieden damit sind, was in Polen nach dem Tod des Papstes veranstaltet wird – als jenen Polen an, der ihnen Ansichten liefern möge, die sich vom stereotypen Schluchzen nach Wojtyłas Tod unterscheiden. Wissen sie doch, daß ich kürzlich von einem Gericht wegen Mißachtung Johannes Pauls II. verurteilt worden bin. Deshalb vermuten meine ausländischen Gesprächspartner, der Tod des Papstes bezeuge nunmehr, daß ich mit meinem Feuilleton Herumkutschierender Sado-Masochismus, dessentwegen ich verurteilt worden war, recht gehabt habe. Daß ich also damit recht hatte zu kritisieren, daß ein dahinsiechender Mensch herumkutschiert und zur Schau gestellt wurde. Die Redaktionen vermuten nun, daß ich jetzt triumphiere, weil ich voraussah, daß Wojtyl⁄as Umgebung den Greis gemeinsam mit dem Pöbel zu Tode peinigt.
Mumpitz. Selbst wenn der Papst seit Jahren ans Bett gefesselt gewesen wäre, wäre er gewiß auch gestorben. Ich habe darüber geschrieben, weil das Schauspiel einer Person, die weder gehen noch sprechen kann, mein ästhetisches Gefühl verletzte. Medizinische Ratschläge habe ich nicht erteilt. Das ist nicht mein Ding.
Der Papst hat edle Wahrheiten verkündet, erhebende, beseelte, die allzeit hübsch klangen. Zum Denken hat er die Gläubigen nicht gezwungen. Meiner Ansicht nach hat er niemals etwas gesagt, was originell und interessant gewesen wäre. Ein Beispiel dafür ist sein sogenanntes Testament. Er gehörte nicht zur Elite geistvoller Landsleute, zu denen ich beispielsweise Bronisław Łagowski, Zygmunt Bauman, Jacek Żakowski, Waldemar Kuczyński, Aleksander Smolar, Wisława Szymborska, Jerzy Szacki, jedoch keinen von der Geistlichkeit zähle.
Der Papst ist ganz sicher eine künstliche Größe, aufgeblasen vom Kult derer um ihn herum, aufgeblasen von denen, die ihm die Hand küßten. Sollte mein Urteil jemanden erzürnen, so möge er mir ein einziges Zitat Wojtyłas nennen, das einen eigenständigen Gedanken enthält. Er hat Banalitäten von sich gegeben, anfangs mit schön modulierter Stimme. Wie andere Führer hat er die Kindlein geherzt und den Frieden gelobt.
Nicht alles, was er von sich gegeben hat, ist schätzenswert. Es sind glatte Floskeln, schlicht bieder. Er hat die westliche Welt unter Druck gesetzt, indem er sich gegen die Anwendung von Verhütungsmitteln in den ärmsten Ländern wandte. Somit ist er verantwortlich für die Fortdauer von Not und Hunger im Namen eines ideologischen Vorurteils. Durch seinen Kampf gegen die Kondome erschwerte er den Kampf gegen AIDS in Afrika. Zu seinem Glück läßt sich die Zahl der Opfer dieser Kirchenpolitik niemals feststellen, während die durch einige andere Führer verursachten Menschenverluste ermittelt werden können.
Eine totale Trauer, die alle anderen Erscheinungen des öffentlichen Lebens überdeckt, erlebe ich in Polen jetzt ein zweites Mal. Das erste Mal war es im März 1953. Damals nahm ich aus Überzeugung daran teil. Bald danach bedauerte ich das. Natürlich setze ich Karol Wojtyła nicht mit dem Gewalttäter Josef Stalin gleich. Vergleichbar sind allerdings das Niveau, auf dem alles Leben erstarb, die Trauerpsychose und der Druck der Bekenner in ihren Diensten.
Junge Leute sollten nicht glauben, daß Stalin in Polen hauptsächlich infolge staatlichen Zwangs beweint worden ist. Trauer fühlten wir unter anderem deshalb, weil Stalins Welt verschied – eine fehlerhafte, jedoch bekannte – und sich eine unbekannte Zukunft auftat, die schlechter hätte sein können. Sie war besser. Auf jeden Fall war Stalins Tod eine welthistorische Veränderung. Das Ende auch nicht eines einzigen Pontifikats seit Jahrhunderten hatte eine derartige Bedeutung gehabt. Durch die damalige Trauerei um Stalin wuchs mir ein Schutzpanzer zu, der mich seitdem vor jedweden Emotionen indoktrinierter Menschenmassen schützt. Die Polen haben sich jetzt nicht so sehr der Trauer hingegeben, sondern der von Medien erzwungenen Übertreibung.
Johannes Paul II. wird in Polen der Große, der Heilige, der herausragendste Pole in der Geschichte und so weiter genannt werden. Diese Wertungen werden niemals anders zu begründen sein als durch exaltiert herausposaunte Plattheiten. Aus Solidarität mit dem gesamten Stamm der Polen hat man einfach an die Größe Wojtyłas zu glauben. Nun, nach Wojtyłas Tod, wird die Macht des Klerus im öffentlichen Leben und im Staat noch weiter anwachsen, dank des Kults um jene Karriere, die – einmalig in der Geschichte – ein Pole gemacht hat. Dieser Kult wird geschickt genährt und das öffentliche Leben durch rechtsgerichteten konservativen Nationalismus vergiften. Im Besitz ihres lokalen Schutzgottes verstärken die Polen ihre religiöse Besonderheit und gehören zur Wadowicer Richtung (Wadowice bei Kraków, Geburtsort Karol Wojtyłas). Infolge dieser Entwicklung wird die Integration in Europa auf zusätzliche Widerstände stoßen. Ich nehme an, daß der Wojtylismus, zur nationalen Religion erhoben, den lokalen Größenwahn und die Neigung zum Messianismus wecken wird. Am Vierteljahrhundert Karol Wojtyl⁄as im Vatikan wird das moderne Polen zu knabbern haben.

Jerzy Urban ist Chefredakteur der Zeitschrift NIE, Originaltitel des dort erschienenen Artikels: »Żałoba z powodu żałoby«. Aus dem Polnischen übersetzt von Gerd Kaiser