Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 25. April 2005, Heft 9

Das Eigenheim

von Ove Lieh

Mal ehrlich, schon beim Lesen der Überschrift fühlt man sich geborgen. Es ist eben nicht nur eine schöne Sache, dieses Eigenheim, sondern auch ein schönes Wort. Allerdings zeigt ein Blick auf die Erstellungs- oder Erwerbskosten meist auch den tieferen Sinn der alten Volksweisheit: Eigener Herd ist Goldes wert! Ich habe seinerzeit immer gegrübelt, ob in der Immobilienbranche Kopplungsgeschäfte üblich sind, weil ich noch nach dem Notartermin glaubte, ich hätte einen Teil der Bank miterworben. Später begriff ich, daß dem nicht so war, und für eine lange Zeit nicht nur mein Geld, sondern auch »mein« Haus der Bank gehören würden. Gern hätte ich allerdings gesehen, wenn die Bank, wie andere Hauseigentümer auch, der Räum- und Streu- sowie der Straßenreinigungspflicht vor dem Haus etwas eifriger nachgekommen wäre. Ich ahnte ja nicht, wie schnell ein Hauskauf dazu führen konnte, daß man seinerseits bei anderen die Straße kehren muß.
Und gerade da, so glaube ich, macht der Kapitalismus einen Riesenfehler, jetzt noch verschärft durch die geplante Abschaffung der Eigenheimzulage. Möglicherweise ist aber auch die SPD entgegen allen Unterstellungen doch noch zum letzten Gefecht aufgebrochen, und die Union wehrt sich vergebens, denn schafft man die Eigenheimzulage ab, schlägt man Nägel in den güldenen Sarg des Kapitalismus. Dieser lebt doch vor allem davon, daß alle mitmachen bei der Kapitalverwertung, einige auch dadurch, daß sie sich zeitweise oder ganz heraushalten. Deshalb hat man ja auch die Demokratie. Es hilft auch nichts, daß man das Geld für Bildung verwenden will, denn es gilt der Grundsatz: »Lieber doof im eigenen Haus als schlau geworden unter der Brücke.« Ein Satz, der für so manchen übrigens etliche biographische Substanz enthält.
Es gibt aber kein stärkeres Mittel, einen nicht wohlhabenden Menschen an den Kapitalismus zu binden als grundbuchnotorische Kreditschulden, die in einem mehr oder weniger sorgfältig geschichteten Ziegelsteinhaufen mit Dach und Fenstern materialisiert sind. Den gleichen Zweck erfüllen auch Holzbalken oder Pappwände, die bei Fertigteilhäusern zum Einsatz kommen. Das sind Häuser für Leute, die eigentlich nicht können, aber gerne wollen. Und gerade für die ist die Eigenheimzulage bestimmt. Hat man die Hütte erst, dann will man von ihr nie mehr getrennt sein, es ist auch egal, wenn die des Nachbarn zwangsversteigert wird und der gleich mit, Hauptsache, man kann am Ende seines Lebens sagen: »Wenn ich auch sonst nichts vom Leben hatte, weil ich immer nur fürs Haus schaffte, so hatte ich doch dieses.« Dafür ist man bereit, bis zur Selbstaufgabe auch noch dem fiesesten Arbeitgeber zu dienen, jeden Streik zu brechen – also den Worten des große Reden haltenden Bundespräsidenten H. Köhler zu folgen, daß alles dem Job unterzuordnen sei. Denn dieser ist das entscheidende Mittel zum Zweck, der Eigenheim heißt. Insofern haben Proletarier heute nicht mehr in erster Linie ihre Ketten (Marx), sondern vor allem ihren Haustürschlüssel zu verlieren. Nimm ihnen die Hütte, und sie werden radikal, auch wenn sie bis dahin als Last erschien, denn ähnlich wie Frau Matt in Strittmatters Romantrilogie, die ewig jammerte »Der Loaden, der Loaden …« wimmert der Eigenheimer »Die Raten, die Raten …«.
Und von dem ganzen lebt außer der Bank der gesamte Restkapitalismus: die Autoindustrie, die Möbelbauer, der Schornsteinfeger, die Einkaufszentren auf der grünen Wiese, denn wer zum Beispiel sowieso mit dem Auto aus seiner abseits gelegenen Wohnsiedlung fahren muß, weil man anders nicht raus kann, der stellt die Kiste zum Einkaufen nicht am Stadtrand ab, um anschließend mit dem Bus zu den vielen kleinen Geschäften in der lauschigen Innenstadt zu fahren, die er zu Fuß abklappert, um dann doch nicht alles zu bekommen, nein der fährt ins Einkaufsparadies vor den Toren der Stadt. Auch den Tankwart freut’s. Denn er braucht den Umsatz – fürs Eigenheim!