Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 28. März 2005, Heft 7

Schreiben, was Sache ist

von Heiko Hilker

Wie der Krieg nach Deutschland kam«, so lautet nicht der Antrag der NPD auf eine Aktuelle Debatte im Sächsischen Landtag, sondern so titelte jüngst der Spiegel.
Wie die NPD in den Sächsischen Landtag kam, darüber wurde viel geschrieben und berichtet. Und noch mehr darüber, was sie im Landtag inszeniert. Innerhalb von vierzehn Tagen waren im Pressespiegel des Landtages (Teil Sachsen/Politik) 197 Artikel über die NPD zu finden. Die Regierung und die anderen Parteien teilten sich den Rest: 75 Artikel.
Doch wer auch hinter die Kulissen schaut, dem fällt auf, daß die NPD nur dort agiert, wo sie Öffentlichkeit bekommt. Gezielt werden Anlässe geschaffen beziehungsweise gesucht. Sei es mit spektakulären Anträgen zu Beginn der Landtagssitzung, sei es mit – »abgelesenen« – provokanten Zitaten oder provozierendem Verhalten. Vieles läuft geplant und nach Drehbuch. Das Ziel ist klar: Man will im Gespräch sein, und dazu wird jedes Mittel genutzt. So ist es kein Wunder, daß man in den nichtöffentlichen Beratungen der Ausschüsse zumeist schweigt und selbst bei eigenen Anträgen nur wenige Worte findet.
Und die Medien? Anscheinend auf eine tagesaktuelle Berichterstattung fixiert, berichten sie viel über NPD-Aktionen. Das ist neu, wurden doch bisher rechte Fraktionen von den Medien zumeist ignoriert. Ist das ein Grund, heute über jede NPD-Inszenierung zu berichten? Im MDR fand im Gegensatz zu vielen Zeitungen »100 Tage NPD im Landtag« nur am Rande statt.
Ja, muß man jedes »schnelle Zitat« zur Deutung des Geschehens ungeprüft abdrucken? Da wird behauptet, der Einzug von zwölf weitgehend unbekannten NPD-Funktionären wäre einmalig. Doch galt dies nicht auch für die sechzehn DVU-Abgeordneten, die sechs Jahre zuvor in Sachsen-Anhalt einzogen? Da wird behauptet, es handele sich bei der NPD um ein ostdeutsches Problem. Doch auch im Saarland kam die NPD bei der Landtagswahl auf vier Prozent. Da wird behauptet, die PDS hätte der NPD den Boden bereitet. Dabei war doch die CDU in Sachsen vierzehn Jahre allein an der Macht und ist die Partei, die die meisten Wähler an die NPD verloren hat. Da wird behauptet, die hohe Arbeitslosigkeit sei ein Grund, NPD zu wählen. Doch saßen die Republikaner in den neunziger Jahren zwei Wahlperioden im Landtag von Baden-Württemberg, einem Land mit geringer Arbeitslosigkeit. Auch für die sächsischen Regionen läßt sich diese Aussage nicht belegen. Die Sächsische Schweiz hat nicht die höchste Arbeitslosenquote. Da wird behauptet, achtzig Prozent hätten nur aus Protest NPD gewählt, doch eine repräsentative Befragung dazu kann niemand vorlegen. Da erklären CDU-Politiker, die NPD hätte im Parlament beim Gedenken der Opfer des Nationalsozialismus erstmals ihre »Fratze« gezeigt. Sind die Brandanschläge und Angriffe auf Synagogen, Asylbewerberheime sowie Jugendklubs, die Übergriffe und Morde an Ausländern und »alternativ aussehenden« Jugendlichen der vergangenen vierzehn Jahre vergessen?
»100 Tage NPD im Landtag« findet Platz in Drei- und Vierspaltern. Doch daß die Staatsregierung von den zwei Millionen Euro im groß angekündigten Demokratie-Programm 1,25 Millionen Euro für Sachverständige und eine ressortübergreifende Imagekampagne ausgeben will und die bestehenden Initiativen vor Ort weitestgehend leer ausgehen, obwohl sie schon jetzt ums Überleben kämpfen, findet nur am Rande statt. Tagelang wird über ein NPD-Verbot gestritten, dabei ist doch klar: Die schärfste und effektivste Waffe der Demokratie ist nicht – selbst wenn dies das Grundgesetz ermöglicht – das Verbot, sondern die Freiheit der Rede und der Meinung.
Manche Journalisten versuchen sich in der Wahl der Worte zu überbieten. Anscheinend, um selbst zitiert zu werden. Da will man mit Baseballschlägern in die NPD-Fraktionssitzung gehen, es wird der Vergleich kolportiert, die Wahl zwischen PDS und NPD wäre eine zwischen Pest und Cholera. Ja, bei einigen Journalisten glaubt man Sympathie herauslesen zu können, wenn sie darüber berichten, wie die etablierten Parteien aufgemischt werden. Und einige versuchen, mit ihren Artikeln dem innerparteilichen Machtkampf in der CDU neue Nahrung zu geben.
Es wäre jedoch unfair, nur den Journalisten vorzuwerfen, daß sie kein Konzept haben. Die Parteien scheinen ja auch keines zu haben. Zudem muß nicht gleich aus der aktuellen Berichterstattung heraus ein Konzept zu erkennen sein. Dazu bedürfte es längerer Beobachtung.
Das MDR-Fernsehen hat in Sachsen eine Einschaltquote von 10,6 Prozent (2004), der Sachsenspiegel kommt auf über zwanzig Prozent. Die Mehrzahl der Haushalte hat keine eigene Tageszeitung mehr. Und selbst wenn man eine solche hat, werden zumeist die Lokalseiten gelesen. Kaum jemand nimmt sich die Landespolitik oder die Kommentare zur Hand. Und wenn, dann wissen er oder sie am nächsten Tage kaum noch, was sie gelesen haben. Medien werden zumeist flüchtig wahrgenommen.
Die Aufgabe der Medien wäre es, nicht nur ein Abbild der Geschehnisse zu geben, sondern der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung zu dienen. Dazu bedarf es tiefgründiger Recherche. Dies ist unter tagesaktuellen Anforderungen, die auf Quoten und Verkaufszahlen ausgerichtet sind, und mit engem finanziellem Spielraum, aber oftmals kaum möglich.
Das Fatale am Appell, die NPD zu »entlarven«, wie es nach den Wahlen immer wieder gefordert wurde, ist, daß suggeriert wird, es handele sich um eine eigenständige journalistische Disziplin. Aber warum sollte ein Interview mit einem NPD-Funktionär eigene Regeln benötigen, außer denen, die sich immer bewähren? Vorbereitung, Wissen ergänzen und Fakten parat haben. Nicht zulassen, daß die Fakten verdreht werden. Dann zeigen die Rechten schon allein, wes Geistes Kind sie sind.
Die stärksten Waffen des Journalisten sind immer noch die Fakten. Nicht Stimmungen. Auch nicht die, daß ein Wahlerfolg der NPD furchtbar ist. Darum gibt es nur ein Kriterium für den Umgang mit Politikern: den Respekt vor den Fakten. Ob im Interview oder im Leitartikel, in der Zeitung wie im Fernsehen, gilt für alle der Leitsatz von Hanns Joachim Friedrichs: »Schreiben, was Sache ist. Senden, was Sinn macht.«