Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 28. März 2005, Heft 7

Die Hundelösung

von Bernhard Romeike

Kürzlich erreichte uns eine traurige Nachricht, von einem Freund übermittelt. Sein Hund war nicht mehr unter den Lebenden. Er schrieb, Waldi hätte sich nach drei Jahren Krankheit nunmehr verabschiedet. Bereits seit zwei Wochen war klar, daß der »alte Mann« nicht mehr lange so weiterleben konnte.
Schon die Woche zuvor sollte er zum Tierarzt, und alle seine Liebsten, seine Familie und die Menschen, die ihn sein Leben lang begleitet hatten, sind noch einmal vorbeigekommen. Das gab ihm nochmals Kraft, und er hatte noch einmal einen richtigen Aufschwung. Eine Woche lief er die Straßen ab, schnupperte an jedem Strauch und markierte seine Reviere. Die Familie beendete für diese letzte Woche nun auch seine dreijährige Diät, und es gab Döner, Schokolade und all die Köstlichkeiten, die ihm zuvor verwehrt waren. Am Mittwoch war es dann soweit. Nach einem Spaziergang fing er an zu zittern, konnte nicht mehr stehen und legte sich aufs Sofa. Alle gaben ihm nochmals Streicheleinheiten und viele, viele Küsse. Am Ende des Abends trugen sie ihn zum Tierarzt. Er war ganz ruhig und schien irgendwie gefaßt. Nach ein paar Minuten wurde er dann eingeschläfert. Er schlief leise und schnell unter den Händen der Familie ein und verabschiedete sich mit einem kurzen Schnaufen. Viel hatte die Familie noch über ihn geredet, und sich versichert, daß es unvorstellbar sei, ein Leben ohne ihn führen zu müssen. Aber am Ende müsse es ja doch gehen.
So weit die Sache mit dem Hund. Die politische Klasse in Deutschland debattiert derzeit das Thema »Sterbehilfe«: »passive« nur, oder »aktive« auch? Nur mit schriftlicher Erklärung beziehungsweise »Patientenverfügung« des oder der Betroffenen, oder reicht eine mündliche? Nur bei voraussichtlich tödlichem Ausgang einer Erkrankung, aber wer prognostiziert das wann mit welcher Gewißheit? Oder reicht doch die subjektive Erklärung?
Nach Hartz IV, der verordneten Armut und dem Ein-Euro-Arbeitsdienst, nun also die nächste »Reform«. Klar ist, aus der Sicht der Kapitalverwertung rechnen sich die vielen Alten in den Pflegeanstalten beziehungsweise Pflegestufen nicht. Sie belasten die öffentlichen Kassen, so lange die Segnungen der heutigen Medizin im Prinzip allen, ungeachtet des eigenen Geldbeutels zugute kommen sollen. Also muß man das Problem anders lösen. Eine Variante ist, keine Ersatzniere mehr ab 65 und keinen Herzschrittmacher ab 70. Das wurde offiziell erst einmal verworfen. Aber es ist ja noch nicht aller Tage Abend. Zunächst gilt ja schon: Zahnersatz auf eigene Kosten, bald für alle beziehungsweise für alle nicht. Nun also auch noch die »Sterbehilfe«.
Die gutbetuchten Alten, wenn sie denn wirr redend oder bettlägerig zu windeln der Pflege bedürfen und sich das finanziell eigentlich selber leisten können – aus der Sicht des Marktes sind sie ebenfalls »unwertes Leben« –, fallen aus den Verwertung des Kapitals heraus. Sie verzerren den Wettbewerb. Schließlich kommt ihr Angespartes dann nur noch dem Pflegemarkt zugute, und all die schönen Autos (auch die extra für Senioren konzipierten), die Schiffsreisen in die Südsee oder die neuen Modeartikel für Senioren bleiben ungekauft. Da ist es dann schon besser, wenn rasch vererbt wird; die Erben kaufen dann wieder anders, und der Markt floriert. Auch hier also ein Problem, das sich mit »Sterbehilfe« günstig lösen ließe. Man muß das Ganze nur gut erklären, zum Beispiel mit dem schönen Wort der »Selbstbestimmung«. Bei Hartz IV machen Leute wie der Soziologe Ulrich Beck – der für jede Rechtfertigung gut ist – das ja auch recht behende. Warum also nicht auch die »Sterbehilfe« so begründen, und mit der bösen, vergewaltigenden Apparate-Medizin drohen? Im deutschen Feuilleton findet diese Diskussion bereits statt.
Diese schöne neue Zukunft, die uns da zugedacht wird, sieht dann ungefähr so aus: Opa Fredy war schon eine ganze Weile krank. Er bekam seine Diät und jeden Tag seine Tropfen, des Blutdrucks wegen und wegen des Magens. Nun hatte er auch noch dreimal seine Kontonummer vergessen, und die Inkontinenz begann sich auch wieder bemerkbar zu machen. Da kam die Familie zu dem Schluß, daß es so nicht weitergehen konnte. Sie gingen mit Opa Fredy noch ein paar Male im Stadtpark spazieren. Er freute sich, daß er das noch erleben durfte. Dann wurde zum Essen eingeladen. Opa durfte alles essen, was ihm so lange verwehrt war, und auch die ollen Tropfen wurden abgesetzt. Dann wurde ihm ganz schlecht, was ja ein Zeichen dafür war, daß es nun bald zu Ende gehen werde. Schließlich wurde der freundliche Arzt bestellt. Der kam mit seinem schwarzen Anzug und einem schwarzen Koffer. Alle gaben Opa Fredy nochmals Streicheleinheiten und viele, viele Küsse. Er war ganz ruhig und schien irgendwie gefaßt. Nach ein paar Minuten bekam er dann seine Spritze. Er schlief leise und schnell unter den Händen der Familie ein und verabschiedete sich mit einem kurzen Schnaufen. Viel hatte die Familie noch über ihn geredet, und sich versichert, daß es unvorstellbar sei, ein Leben ohne ihn führen zu müssen. Aber am Ende müsse es ja doch gehen.